Heft 
(2022) 113
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104 Fontane Blätter 113 Literaturgeschichtliches, Interpretationen, Kontexte 1. Familienverhältnisse. Irrungen, Wirrungen und Stine als Bezugstexte der Darstellung in Gabriele Tergits Roman Effingers Auf´s Ganze gesehen, sind die 1880er-Jahre für das Bankhaus Goldschmidt & Oppner gute Jahre. Für die Geschicke des Bankhauses verantwortlich sind Ludwig Goldschmidt, ältester Sohn des Gründers Markus Goldschmidt, und sein Schwager Emmanuel Oppner. Ludwig Goldschmidt, der mit Recht den Ruf erworben hat,»sehr fromm[...] und sehr wohltätig« 6 zu sein, lebt mit seiner aus Petersburg stammenden Gattin Eugenie in einer Villa in der Tier­gartenstraße,»erst wenige Jahre alt und in prächtiger italienischer Renais­sance erbaut« 7 . Emmanuel Oppner hingegen, ehemaliger»Achtundvierzi­ger« 8 , machte nach seiner Rückkehr aus dem Pariser Exil Karriere als gefragter Finanzexperte, bis ihn die Heirat mit Selma Goldschmidt 1865 zum gleichberechtigten Partner des Bankhauses aufsteigen ließ. Im Jahre 1885 erwirbt er zu günstigen Konditionen eine Villa in der Bendlerstraße, Nähe Tiergarten . Waldemar Goldschmidt schließlich, der dritte der Gold­schmidt-Erben, wurde»ein bekannter Rechtsgelehrter« 9 , ein Liberaler, der mit den religiösen Traditionen seines Elternhauses gebrochen hat, unverhei­ratet geblieben ist und seit Jahren ein wechselvolles Liebesverhältnis zur gefeierten Soubrette Susanna Widerklee unterhält. Aber ungeachtet aller religiösen, weltanschaulichen und lebenspraktischen Unterschiede: Inner­familiär gelten Toleranz und wechselseitiger Respekt, gehören sie doch alle zum wohlhabenden und gebildeten jüdischen Bürgertum der Reichshaupt­stadt Berlin . Wenn es aber darum geht, die vielfältigen Textbezüge zu Theodor Fonta­nes Berliner Romanen offenzulegen, dann müssen noch einige weitere Figu­ren vorab ins Spiel gebracht werden. In das Jahr 1885 fällt nicht nur der Villenkauf Emmanuel Oppners, sondern auch die Verlobung und baldige Hochzeit zwischen Oppners achtzehnjähriger Tochter Annette und Karl Ef­finger, der sich als Kompagnon seines Bruders Paul als Schraubenfabrikant ausweisen kann und geschickt die Geschäftsinteressen dieses noch kleinen Unternehmens nach außen zu vertreten weiß. Im Bankhaus Goldschmidt& Oppner vorsprechend mit der Bitte, ein Konto eröffnen zu dürfen, gefällt Emmanuel Oppner Karls forsches Auftreten, scheint dieser doch das zu ha­ben, was er bei seinem siebzehnjährigen Sohn Theodor so schmerzlich ver­misst:»Ich wollte, mein Theodor hätte diesen Unternehmungsgeist, dachte Oppner.« 10 Unter dem wohlwollenden Blick seines zukünftigen Schwieger­vaters verfolgt Karl fortan sein Ziel, mit Annette eine glänzende Partie zu machen. Allerdings gilt es, zunächst noch ein Problem aus dem Wege zu räumen, nämlich seine Liebschaft mit der abhängig beschäftigten Schneide­rin Käte Winkel. Und so trennt sich Karl von Käte, die seinen Entschluss unter Tränen akzeptieren muss. Während Karl Effinger also gesellschaftlich aufsteigt, verfolgt Emmanuel Oppners Sorgenkind Theodor wenigstens