Geschenk an Philipp Wackernagel Wolpert 133 Theodor Fontane kondoliert der Witwe, Frau Auguste Wackernagel, am 2. Juli 1877: 12 Hochgeehrte Frau Professorin! Gestatten Sie mir – wie ich bemerken muß, ohne meine Schuld verspätet –, Ihnen meine Teilnahme bei dem schmerzlichen Verluste, der Sie betroffen hat, auszusprechen. Von alter Zeit her voller Verehrung für den Hingeschiedenen, zähle ich es zu den erfreulichen Ereignissen meines Lebens, daß mir auch vor verhältnismäßig kurzer Zeit, Gelegenheit gegeben wurde, alte Erinnerungen neu beleben und in dem Greise den in seinem Kerne unverändert gebliebenen Lehrer meiner Jugend wiedererkennen und begrüßen zu können. In vorzüglicher Ergebenheit, gnädigste Frau, Ihr Th. Fontane . Möglicherweise verdankt Fontane der Sammlungstätigkeit seines alten Lehrers ein Motiv, das gewissermaßen die zentrale Scharnierstelle in seinem Roman Effi Briest bildet. Effi – bereits im Banne der Verführung durch Major Crampas – wehrt sich mit letzten Kräften, der Leser ahnt es, wohl letztlich vergeblich. Und nun – ausgerechnet um dem Schloon und dessen Sog auszuweichen – findet sie sich auf dem abendlichen Heimweg von der Oberförsterei Uvagla allein mit Crampas im Schlitten auf einem schmalen Weg, der mitten durch eine dichte Waldmasse hindurchführt: Effi schrak zusammen. Bis dahin waren Luft und Licht um sie her gewesen, aber jetzt war es damit vorbei, und die dunklen Kronen wölbten sich über ihr. Ein Zittern überkam sie, und sie schob die Finger fest in einander, um sich einen Halt zu geben. Gedanken und Bilder jagten sich und eines dieser Bilder war das Mütterchen in dem Gedichte, das die»Gottesmauer« hieß, und wie das Mütterchen, so betete auch sie jetzt, daß Gott eine Mauer um sie her bauen möge. Zwei, drei Male kam es auch über ihre Lippen, aber mit einemmal fühlte sie, daß es tote Worte waren. Sie fürchtete sich und war doch zugleich wie in einem Zauberbann und wollte auch nicht heraus. 13 Ein Brief Theodor Fontanes an den Freund Karl Zöllner vom 9. Januar 1891 – also aus der Zeit, in der Fontane den Roman konzipierte – lässt vermuten, dass er auf das Motiv der»Gottesmauer« in der von Philipp Wackernagel edierten Anthologie Trösteinsamkeit in Liedern gestoßen ist:»Acht Tage lang haben wir eingesessen wie das Mütterchen in Schleswig , das durch eine Schneemauer von der feindlichen Welt abgeschnitten war(S. Wackernagels Anthologie) …« 14 Nun mag es ein Zufall sein, doch wenn, dann ist es ein schöner, dass ausgerechnet der Sammler und Hymnologe unter Fontanes Lehrern, nämlich Philipp Wackernagel – sicherlich ganz unbeabsichtigt – auch den Anstoß zu
Heft
(2022) 113
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