Heft 
(2022) 113
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152 Fontane Blätter 113 Rezensionen Folge. Die Subtexte quellen über. Aber die Novelle benetzt kein Tröpfchen Humor«(S. 233). Hat er damit nicht eigentlich recht aus der Perspektive des Lesers gesehen, sosehr die Labyrinthe des Subtexts die detektivische Spürfreude literaturwissenschaftlicher Interpreten befriedigen? Da, wie gesagt, für Maar Stil immer in Verbindung mit der Biografie steht, erfährt man viel Interessantes, aber nie Erschöpfendes über Lebenszu­sammenhänge und-zufälle verschiedenster Autorinnen und Autoren. Die klug gewählten Leseproben und originellen Handlungsrésumés erzeugen überdies eine große Lust, unbekannte Bücher zu entdecken und bekannte wiederzulesen. Die Rezensentin tauchte, als der Infekt überstanden und das Buch zu Ende war, mit einer umfangreichen Liste aus dem Schlafzimmer auf, die ihr seither viele weitere Leseerlebnisse beschert hat. Ihr persönlicher ­Favorit unter den Neuentdeckungen ist Ulrich Bechers 700-Seiten-Roman Murmeljagd(spielend 1938, mit Rückblenden in die Jahre 1934, 1916 und weiter, weitgehend unbeachtet erschienen 1969, neu aufgelegt 2020), den sie in wenigen Tagen atemlos verschlang, obwohl sie im Allgemeinen keine Freundin einer wilden, polyphonen, spätexpressionistischen Sprache ist. Der»Magie« von Kafkas unprätentiösem, gleichwohl unverwechselba­rem Stil geht Maar geduldig forschend auf den Grund und liefert dabei ein Close reading mehrerer Szenen aus Der Verschollene. Er vergleicht den Stil der beiden Mann-Brüder; Thomas Mann über den er einst promovierte wird als Essayist( Bruder Hitler) ebenso gewürdigt wie als Erzähler( Joseph und seine Brüder, Felix Krull und Der Zauberberg vor Doktor Faustus ). Als Stilist werde er nicht über-, sondern unterschätzt, weil sein Stil leicht paro­dierbare Elemente enthalte. Nicht als Essayisten, aber als Romancier stellt Maar ihm Heimito von Doderer gleichrangig an die Seite, vor allem mit Die Wasserfälle von Slunj. Überhaupt liegt ein starker Akzent auf der österrei­chischen Literatur: Stifter, Musil , Joseph Roth natürlich, aber auch Marie von Ebner -Eschenbachs Erzählungen werden mit viel Gespür, Christine Lavants Lyrik enthusiastisch besprochen, und zu Alexander Lernet-Holenia heißt es treffend:»Wenn es einen Club der unterschätzten Dichter gäbe, Lernet-Holenia wäre ihr Ehrenvorsitzender«(S. 316). Ebenso widerfährt der Schweizer Literatur Gerechtigkeit: Gotthelf, immer wieder Gottfried Keller (»Kühle hat dem Stil noch immer aufgeholfen, und Keller, der Zwerg, ist unter den Stilisten ein Gigant«, S. 240), Robert Walser , und, unter unse­ren Zeitgenossen, Gertrud Leuteneggers Panischer Frühling werden kun­dig und verlockend vorgestellt. Auf dem Feld der Gegenwartsliteratur fin­den sich auch Abschnitte zu Herta Müller , Undine Gruenter , Wolfgang Herrndorf , Walter Kappacher , Botho Strauß , Daniel Kehlmann , Navid Ker­ mani , Clemens J. Setz und anderen. Und nun schlägt die Stunde der Wahrheit: Wie hält ers mit Fontane ? »Vieles an Fontane ist entzückend«(S. 150), schreibt er, und:»Nichts gegen Fontane ! Nichts vor allem gegen seine Erinnerungen Meine Kinderjahre