Vom Bild zur Bewegtheit, vom Fragment zum Flow Igl 45 fenen Menschen in natürliche Beziehungen zu einander zu bringen weiß, der schreibe, der versteht sein Metier. ⌐ Ganz wie beim Drama: Charactere und Situationen. «(Ebd.) Die Frage danach, ob der komponierende Autor sich in der Rolle der Erzählinstanz im Hintergrund halten oder mittels einer wahrnehmbaren Erzählstimme ›plaudernd‹ einbringen soll, ist dabei aus Fontanes Sicht nicht der entscheidende Aspekt:»Ob ich als Puppenspieler hinter der Coulisse bleiben oder alle Augenblicke philosophirend oder erklärend vortreten will, ist gleichgültig. Das Erstre ist besser, aber wenn ich das Andre gut und geistreich und unterhaltend thue, ist es nicht nur statthaft sondern kann einen Reiz bilden.«(Ebd.) Ausschlaggebend für die als gelungen anzusehende narrative Komposition sei vielmehr dieses: Wir müssen dem, was sich da vor uns vollzieht, in jedem Augenblick unter freudiger Zustimmung folgen können. Auf dies Folgen=können, kommt es an. Man gleitet in einem Kahn den Fluß hinunter, immer angeregt, immer befriedigt durch die Bilder am Ufer. Stockt die Fahrt, geräth der Kahn auf eine Sand-Bank, so darf dieser Zwischenfall nicht zu lange währen; währt er nur kurze Zeit, so kann er den Reiz der Fahrt erhöhn.(Ebd.) Durch den Bogen, den Fontane hier von der Relevanz der authentisch-natürlichen Gestaltung von»Charactere[n] und Situationen« zum Konzept des ›Folgenkönnens‹ schlägt, werden zwei unterschiedliche Dimensionen des letzteren aufgerufen: Einerseits geht es um die im Paradigma des Realismus zentral gesetzte Plausibilität der Figurencharakteristik und Erzählhandlung, wie sie in zugespitzter Form auch noch die naturalistische Programmatik mit ihrer Forderung nach ›naturwissenschaftlich‹-psychologisch motivierten Figuren und Handlungsverläufen ansetzt. 15 Andererseits legt das Motiv des Erzähl- und Lektüreflusses als Kahnfahrt entlang eines Ufers voller Bilder – in sich selbst ein ›bewegtes Bild‹ 16 – den Fokus darauf, dass das Erzählte nicht nur in sich plausibel sein soll, sondern der Prozess des Erzählens in seiner perspektivischen Darbietung und rhythmischen Komposition durch die Erzählinstanz einen für die Leser*in reizvollen Fluss des Erzählens bzw. der erzählten Handlung kreiert. Fontanes bildreiches Erzählen ist ein auf leserseitige Bewegtheit hin kalibriertes Erzählen. Das ›bewegte Bild‹ ist entsprechend, wie oben bereits angemerkt, nicht einfach ein zentrales Motiv innerhalb der Werke Fontanes. Stattdessen verweist es auf ein für seine Texte wie auch – so meine These – seinen kreativen Kompilationsprozess zentrales Erzählprinzip: Die ›bewegten Bilder‹ sind einerseits eine Art Speicherformat im Sinne komprimierter, narrativ entfaltbarer Figurenszenerien, räumlicher Settings und Handlungssequenzen; andererseits sind sie ein Werkzeug der perspektivisch-motivischen Gestaltung und narrativen Aufmerksamkeitslenkung einer Erzählung.
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(2022) 114
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