Heft 
(2022) 114
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56 Fontane Blätter 114 Dossier: Fontanes Fragmente dass in der ausgestellten Gleichgültigkeit auch das Wissen darum mit­schwingt, dass man in dieser Frage einmal anders geurteilt hat. Auf jeden Fall zeigt er wenig Interesse daran, die mit dem Bild vom Puppenspieler ver­bundene dichotomische Unterscheidung zweier Erzählertypen, einem offe­nen und einem verborgenen Erzähler, systematisch zu erörtern. 6 Wenn die Wahl der Erzählposition ›gleichgültig‹ ist, wird dann nicht jede vertiefte Diskussion über Vor- und Nachteile der Varianten und ihre strukturellen Konsequenzen überflüssige ›Quackelei‹ sein? Insofern überrascht es nicht, dass erzähltheoretische Überlegungen in seinen Arbeitsnotizen und Manu­skripten insgesamt vergleichsweise wenig Raum einnehmen. Zu einer pro­duktiven Verbindung von kompositorischer und theoretischer Reflexion, wie sie sich bei Friedrich Spielhagen nachlesen oder in den Studienheften Otto Ludwigs nachvollziehen lässt, kommt es bei ihm nicht. Das heißt nicht, dass Fontane der Konzeption seiner Erzählerfiguren keine Aufmerksamkeit schenken würde oder dass sich den Handschriften keine Anhaltspunkte für die Rekonstruktion dieser Konzeptionsprozesse entnehmen ließen. Fonta­nes Arbeit am Erzähler zeigt sich in Korrekturspuren ebenso wie in kleine­ren, eingestreuten metanarrativen Kommentaren. Untersuchungen, die sich aus dieser Perspektive mit Fontanes Manuskripten und Fragmenten be­schäftigt haben, konnten so trotz des Mangels an detaillierten theoretischen Ausführungen präzise aufzeigen, wie sich Fontane seinen bevorzugten Er­zählertyp erschreibt. 7 Weitgehend unbeantwortet bleibt dabei allerdings die Frage, welches Variationsspektrum an Erzählertypen bei ihm überhaupt existiert, ob in den Vorstufen und Notizen etwa Erzählerstimmen hörbar werden, die in den abgeschlossenen literarischen Texten so nicht vernehm­bar sind. Vor dem Hintergrund der Behauptung, dass die Wahl zwischen einem verborgenen Puppenspieler und einem sichtbaren, persönlich profi­lierten Erzähler mehr oder weniger gleichgültig ist, könnte man annehmen, dass Fontane zumindest in seinen Plänen auch mit beiden Erzählertypen experimentiert. Warum aber ähneln sich dann die Erzähler in seinen abge­schlossenen Erzählungen und Romanen so stark? Finden sich überhaupt Ansätze zu alternativen Konzeptionen und, wenn ja, lassen sich den Frag­menten Hinweise darauf entnehmen, warum ihre Ausarbeitung nie über das Entwurfsstadium hinausgekommen ist? Mit dem vorliegenden Beitrag möchte ich erste Antworten auf diese Fragen geben. Zunächst gehe ich dafür überblicksartig auf die verschiede­nen Erzählertypen ein, die sich in den narrativen Passagen der Fragmente finden lassen. 8 Insgesamt besehen, so lässt sich vorwegnehmen, bestätigen die Entwürfe zwar Fontanes Vorliebe für eine ganz bestimmte Anlage der erzählenden Instanz und seine diesbezüglich geringe Lust am Experiment; doch gibt es bemerkenswerte Ausnahmen, allen voran Entwürfe mit homo­diegetischen Erzählerfiguren und unter diesen einige projektierte Brief­erzählungen. Auf diese wenigen, aber interessanten Fälle wird in einem