Heft 
(2022) 114
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Experimente mit der Erzählerfigur  Grüne 57 ­zweiten Schritt näher einzugehen sein. Schließlich gilt es die Frage zu erör­tern, ob sich strukturelle Gründe dafür angeben lassen, dass diese Erzäh­lerkonzeptionen in Fontanes narrativer Produktion letztlich peripher blei­ben und als alternative Gestaltungsformen von ihm nicht fruchtbar gemacht werden können. Dafür möchte ich die Aufmerksamkeit auf Stellen in den Entwürfen richten, in denen sich der Prozess der Narrativisierung 9 gewis­sermaßen materialiter manifestiert. Gemeint sind Übergänge von der rei­nen Stoffsammlung zur Erzählung, jene Umschlagsmomente von Autor- in Erzählerrede, die Walter Hettche als»›Ausbrüche‹ des Erzählers aus den Notizen des Autors« beschreibt. 10 Ihnen, so die Annahme, lassen sich die entscheidenden Trigger und Anreize entnehmen, die den Erzählprozess in­itiieren und dazu beitragen, dass der Autor von der reinen Disposition des Stoffes zur Präsentation einer Geschichte übergeht. Auf den ersten Blick bieten die Fragmente hinsichtlich der darin gestal­teten Erzählerfiguren keine großen Überraschungen. Die Bandbreite an Typen scheint nicht signifikant weiter zu sein als in den abgeschlossenen Texten. Im frühen Wolsey -Fragment zeigen sich die Parallelen zu Vor dem Sturm auch in der Art und Weise der narrativen Vermittlung. 11 Hier ergreift ein Erzähler das Wort, der seine Anwesenheit nicht verbergen möchte und als wahrnehmendes, urteilendes, mitunter auch organisierendes Zentrum der Erzählung erkennbar bleibt:»Dies Speisezimmer verhielt sich zu der zur ­großen Halle, wo wir Sam Taylor am Kaminfeuer zurückgelassen hat­ten, wie das der ­Chor einer Kirche zum Schiffe derselben«( I,  9). Ein solch vordergründig kolloquialer Gestus ist in anderen Fragmenten nur noch selten anzutreffen. Mitunter gibt es allerdings Ausreißer, beispiels­weise in den Aufzeichnungen zu Die preußische Idee. In dem ungewöhnli­chen, weil fast durchgehend im narrativen Präteritum verfassten Hand­lungsentwurf heißt es über den Protagonisten der Erzählung:»Aber diese Jahre von 18 64 bis 71 ­waren trotzdem nicht die glänzendsten im Leben unsres Schulze, die glänzendsten kamen erst«(F I, 341). Einen ähnlichen Fall findet man im Projekt» Unverändert der Deine«, zu dem Fontane an ei­ner Stelle notiert:»Zweites Kapitel. Abendgesellschaft beim Minister. ›Eine Woche später, nach vorgängiger Anmeldung, stieg unser Freund Balthasar, die Marmortreppe hinauf etc. etc‹«(F I, 360). In diesem Beispiel wird der Wechsel von Autor- zu Erzählertext sogar durch Anführungszeichen mar­kiert. Der Erzähleinschub erhält so den Charakter einer zu Beispielzwecken angeführten Phrase und das vertrauliche»unser Freund« erscheint mehr denn je als eine abgegriffene narratoriale Floskel. Insgesamt aber bleiben derartige kolloquiale Einsprengsel in den Fragmenten wie im Romanwerk die Ausnahme. Der Erzähler, der uns in den meisten narrativen Passagen begegnet, gibt sich in der Regel sehr viel zurückhaltender. Das liegt auch daran, dass bereits in den Entwürfen und Projektskizzen dem Figurenge­spräch sehr viel Raum gegeben wird. Es ist bezeichnend, dass häufig be-