Experimente mit der Erzählerfigur Grüne 59 als Zeuge gemeinsam mit den beteiligten Figuren mitverfolgt:»Die Frauen, die bis dahin ihren Blick auf die Schiffe gerichtet hatten wandten sich jetzt und sahen auf die Drei die jetzt an der Seitenmauer des Kirchhofs entlanggingen. Sie hoben ihre Kinder in die Höh und wiesen auf ihn und ⌐ es war schwer in ihren Zügen zu sehn, was in ihnen überwog Furcht oder Theilnahme«(F I, 69); so berichtet, ebenfalls wieder in externer Fokalisierung, der Erzähler der Likedeeler von der Ankunft Störtebekers in Marienhafe . Wie in den abgeschlossenen Romanen findet man in den Fragmenten bevorzugt Erzähler gestaltet, die sich gelegentlich auf die Rolle eines teilnehmenden Beobachters zurückziehen, häufig hinter den Reden der Figuren verschwinden, dann aber auch wieder in den Vordergrund treten können – weniger durch längere Diskurse und Kommentare als durch kleine Bemerkungen oder unscheinbare kolloquiale Wendungen, wie das»natürlich« aus der oben zitierten Passage zu Thusnelda Lehmann. Eine zentrale Eigenschaft, die diese Erzähler miteinander verbindet, ist mit anderen Worten die Fähigkeit, zwischen Verborgenheit und Offenheit pendeln, zwischen Verschwinden und dezentem Hervortreten wechseln zu können. Fast immer aber sind es heterodiegetische Erzählerstimmen, die das Wort ergreifen. Sie sind zwar stets mit den örtlichen Gegebenheiten und diskursiven Kontexten, in denen sich die Figuren bewegen, bestens vertraut, aber nur äußerst selten auch Teil der Geschichte, die erzählt wird. Auch darin spiegelt sich in den Fragmenten eine Entwicklung, die Fontanes erzählerisches Werk insgesamt charakterisiert. Denn abgesehen von frühen Versuchen in den Erzählungen Zwei Post-Stationen und Tuch und Locke macht er von der Möglichkeit eines homodiegetischen Erzählens keinen Gebrauch – ganz gegen die Zeittendenz, nebenbei bemerkt, schließlich erlebt diese Erzählform in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts unter anderem bei Gottfried Keller , Theodor Storm oder C. F. Meyer eine künstlerische Blüte; zeitgenössische Erzähltheoretiker wie Berthold Auerbach , Friedrich Spiel hagen oder Otto Ludwig widmen ihr zudem erstmals umfangreichere systematische Analysen. 12 In Fontanes Romanen und Fragmenten ist davon nicht viel zu spüren. Aber immerhin gibt es einige interessante Ausnahmen, Pläne zu Erzählungen, in denen von vornherein ein homodiegetischer Erzähler angedacht war oder nachträglich ausprobiert wurde, und dann eine Reihe von Entwürfen, in denen keine einzelnen, sondern mehrere homodiegetische Erzählinstanzen das Geschäft des Erzählens übernehmen sollten. Es ist vielleicht die überraschendste Beobachtung, die man bei der Durchsicht der Fragmente in Bezug auf ihre narrative Anlage macht: Wenn Fontane das homodiegetische Erzählen überhaupt in Erwägung zieht, dann überwiegend in der Gestalt der Brieferzählung. Bevor ich auf letztere näher eingehe, möchte ich den Blick kurz den Plänen mit einem ›traditionellen‹ Ich-Erzähler zuwenden. Zu ihnen zählt ein Fragment mit dem Titel Fritz Mollhausen, das durch die hier herangezogene
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(2022) 114
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