Heft 
(2022) 114
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Experimente mit der Erzählerfigur  Grüne 61 spezifischen künstlerischen Nutzen zu ziehen wusste. Eher tendiert er dazu, das homodiegetische Erzählen offen oder unterschwellig dem heterodiege­tischen wieder anzunähern. Ein weiteres Beispiel für diese latente Transfor­mation der Homo- zur Heterodiegese lässt sich dem Plan Wir halten zusam­men entnehmen. Auch für diese Erzählung sieht Fontane grundsätzlich einen homodiegetischen Erzähler vor, der aus der Perspektive eines Freun­des oder Bekannten über das Leben dreier Geschwister erzählen soll. Er­neut bleibt dabei die genaue Beziehung zwischen Erzählendem und den Hauptfiguren sehr vage und auch auf die spezifische Motivation oder Situa­tion des Erzählens geht Fontane nicht näher ein. Die so geschaffene Nähe zum heterodiegetischen Erzählen wird in einer kurzen Charakterskizze über die Mutter der Geschwister besonders greifbar: Nachdem die vorgängigen Lebensereignisse erzählt sind, fährt der Er­zähler fort. Die Ich habe Eingangs auch Mütterchen genannt. Und sie mit dem Kegel verglichen. Das trifft zu. Denn wiewohl sie sich verhältnißmäßig passiv verhielt, Mütterchen war doch eigentlich die Hauptsache und auch ei­gentlich die intressanteste Figur. Sie war eine Majorswittwe von aller­bürgerlichstem Namen. und vereinigte alle Tugenden ihres Standes und Geschlechts in sich. Sie war Königin Pomare und Waschfrau je nach Be­dürfniß, sie las die Königin Elisabeth und versetzte die silbernen Löffel, fand jeden nett, lachte über alles und buk arme Ritter mit Virtuosität. (F I, 236) Die Sequenz entspricht der in Fontanes fiktionalen(und faktualen) Erzähl­texten häufig genutzten en bloc-Charakterisierung von Figuren. Sie könnte problemlos in den Diskurs eines heterodiegetischen Erzählers eingerückt werden. Die Frage nach der Stellung des Berichtenden zum Berichteten ist für dieses Erzählen relativ gleichgültig. Beispielsweise wird darauf verzich­tet, den Akt der Erinnerung oder Fragen nach der Zuverlässigkeit der Er­zählerurteile in die Darstellung mit aufzunehmen. Mit anderen Worten: Fontane schöpft den besonderen Gestaltungsspielraum, den die Homodie­gese im Vergleich zu heterodiegetisch erzählten Geschichten bietet, nur zu geringen Teilen aus. Gilt das auch für die Form des homodiegetischen Erzählens, die Fonta­ ne offenbar besonders schätzt? Erstaunlich häufig zieht er in Erwägung, eine Geschichte als eine Erzählung in Briefen darzustellen. Sicher, keiner unter diesen Entwürfen ist weit über das Stadium der ersten Konzeption hinausgekommen. Von der Novelle(?) Sommerbriefe aus dem Havelland (F I, 398) existiert nicht mehr als der Titel, zu Gabriele Chrysander(F I, 286– 287), Die Pflicht aus dem Glück(F I, 289) und Immer gleich(F I, 318–319) liegt lediglich eine grobe Handlungsskizze vor. Am umfangreichsten sind noch die Pläne zu Eleonore(F I, 228–233) und Ehen werden im Himmel geschlos­sen(F I, 313–318), einer»Plauderei in Briefen«, wie der Untertitel lautet. In