Heft 
(2022) 114
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Experimente mit der Erzählerfigur  Grüne 63 kann. In dezenter Weise hätten die Briefe, die sie erhält, auf den blinden Fleck in ihrem Selbstverständnis hinweisen können:»Dies klingt in den Briefen des Alten immer ­durch. Sie hat es, gegentheiligen Versicherun­gen zum Trotz, nicht gelernt, auf Glanz u. Schein zu verzichten«(F I, 230). Der Brief ist für Fontane demnach in erster Linie als ein Mittel der Per­spektivierung interessant. Was hat ihn dann aber davon abgehalten, diese Erzählform über einen ganzen Text auszuweiten? Hat es mit seinem Unbe­hagen am homodiegetischen Erzählen insgesamt zu tun? An dieser Stelle soll nicht über äußere Motive spekuliert werden, die zum Abbruch dieses oder jenes Projekts geführt haben könnten. Es geht um die Identifikation von strukturellen Vor- und Nachteilen, die sich aus der erzählerischen An­lage ergeben. Bei der Suche nach den Gründen, warum Fontane von be­stimmten, strukturell bedingten Gestaltungspotenzialen in größerem Maße Gebrauch gemacht hat als von anderen, lohnt der nähere Blick auf jene Umschlagsmomente von Autor- zu Erzählertext, die eingangs bereits erwähnt wurden. Denn an ihnen lässt sich nachvollziehen, welche Faktoren den Prozess des Erzählens bei ihm in besonderer Weise begünstigen. Aus der Fülle an Beispielen sei hier ein Entwurf zum ersten Kapitel des Romans Allerlei Glück ausgewählt. Fontane beginnt im Stil eines Szenarios mit einer referierenden Zusammenfassung:»1. Kapitel. Doktorwagen hält vor einem Hause in der Dessauerstraße, wo sie hübsch wird. Doktor steigt hinauf. Trifft oben H. Brose . Humoristisches Gespräch der beiden alten Freunde«(F I, 170). Das ist im Grunde schon Geschehensdarstellung, also Erzählung. Die summarische Zusammenfassung des Gesprächs, auch das Präsens, das bei Fontane als Erzähltempus nur selten vorkommt, weisen allerdings darauf hin, dass Fontane hier noch nicht in der Funktion eines Erzählers spricht, der eine erzählte Welt entwirft, sondern in der Funktion des Autors, der seinen Stoff ordnet. In diesem Kontext ist der Hinweis auf die Schönheiten der Dessauerstraße als Urteil des Autors zu verstehen, wie­wohl denkbar wäre, dass es(vielleicht in abgeschwächter Form) auch in den Erzähldiskurs aufgenommen wird, um die Ortskenntnis des Erzählers an­zudeuten. Im Folgenden gewinnt die Szene weiter an Detailliertheit. Fonta­ne bleibt aber zunächst noch im Präsens des disponierenden Autors: Als der Dr. u. Geh. R. geht, begleitet ihn Brose bis auf den Corridor; hier steht ein junger, b mittelgroßer Mensch in Frack, gebildet, manierlich, etwas steif. Br ose nickt ihm zu, wie um sich zu entschuldigen und expe­dirt erst den Geh. Rath.»Nun, mein Herr, steh bin ich der Ihrige. Womit kann ich dienen? Erlauben Sie, daß ich vorgehe; es ist hier eine sonder­bare Berliner Beleuchtung hier. Aber ­Das thut ein Berliner Flur nicht anders. Darf ich bitten.« Und dabei machte er jetzt (1) innerhalb des Zimmers (2) an der Schwelle