Heft 
(2022) 114
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82 Fontane Blätter 114 Dossier: Fontanes Fragmente nicht feucht sei«; das sagt nicht Adelheid von Stechlin, sondern der Feuille­tonist Karl von Thaler. 61 Von ihr, ihrer Erscheinung, ihrer Bewegung im Kreis ›bedeutender‹ Menschen und ihrem Konversationston, gehen tatsäch­lich weitreichende Anregungen aus, wie sie Fontane gerade im Wangen­heimschen Haus erhielt und immer wieder ins Werk umsetzte. Wer aber könnte sich selbst im Seitenblick auf Oceane von Parceval einen Freitod der Gräfin Melusine Ghiberti vorstellen? 62 Nach eigner und fremder Ein­schätzung gehört Helene von Dönniges von Kindheit an zum ›languissanten‹ Frauentyp: Ihre Augen»wechselten die Farbe unaufhörlich und konnten bald den sanftesten Taubenausdruck, bald besonders wenn sie die schwe­ren Augenlider wie ermüdet halb herabsinken ließ die lauernden Flammen eines Raubtieres zeigen«, so Otto von Völderndorff. 63 Williger und blinder als Effi unterwirft sich die Zwölfjährige den»phantasievollen Vorspiegelun­gen« ihrer Mutter, die»nicht müde wurde mir auszumalen: wie reizend es sein werde, fast noch ein Kind, in Bälde Frau Generalin Excellenz zu hei­ßen!«. 64 Und dieses»Kind« ist wild und stolz genug, sich über die»glühenden Liebesbriefe« des dreimal so alten Mannes zu freuen. Wie Botho erfährt sie die panische Reaktion der Eltern, die angesichts der töchterlichen Vorliebe einen persönlichen Ruin befürchten. Helene ist keine Renate, Cécile oder Stine, die angesichts einer unterbro­chenen Zuneigung sich zurückziehen oder sterben, obwohl auch sie schließ­lich verzweifeln wird. Sie ist auch keine Hilde, die den Totschläger seines Sohnes und ihres geliebten ›Bruders‹ heiratet. Gelöster als Victoire über­lebt sie den ›Freitod‹ des geliebten Mannes. Selbst von Franziska, ihrer Kol­legin, unterscheidet sie sich als Witwe, begründet sie doch erst mit dem »zweiten Helden« oder gar dritten ihr wahres Glück. Wie Jenny Treibel scheint sie dem ›sozial‹ Höherstehenden nur allzu bereit ihre Hand gegeben zu haben; aber das stimmt wohl nicht ganz, denn unbeachtet bliebe dabei der Bund mit Friedmann, der allerdings bei Fontane als weiterer ›Held‹ wohl keine Rolle spielt. Auch gleicht sie nicht einer Prinzessin Ippe-Büch­senstein, die als Frau Oberförsterin im Bürgerlich-Frommen erstarrt oder als Adelgunde( Allerlei Glück) auf die Neckereien ihres bürgerlichen Man­nes»piquiert« reagieren müsste(F I, 111). Entschlossen und tüchtig wie Me­lanie(oder ihre eigene Roman-Gräfin Vera) ähnelt sie mit ihren»gemmen­haften Gesichtszüge[n]« 65 eher einer Mathilde, die auf und ab zu ›klettern‹ versteht, auch wenn Fontane ihr tatsächliches Debakel nicht mehr erlebt und Mathildes Karrieregeschichte ohnehin nicht veröffentlicht hat.