Heft 
(2022) 114
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Aus Fontanes Papierkorb  Möller 131 Möglichkeit der Beantwortung ist also in dieser Russlandsfrage immer noch gegeben, während das Wesen der jetzt so beliebten, von grossen Re­daktionen ausgehenden brieflichen Anzapfungen darauf hinausläuft, dass Fragen gestellt werden, die gar nicht zu beantworten sind oder wenn sie beantwortet werden, eine meist schon vorhandene Confusion nur noch stei­gern. Seit etwa 4 Wochen sind elf derartige»Bitten um Aufschluss« an mich und sehr wahrscheinlich auch an die übrigen»führenden Geister deutscher Nation« ergangen, Fragen, die wenn ich in starker Ueberschätzung meines Könnens ihre Beantwortung versucht hätte, mir unter Hinzurechnung der beinah täglich sich einstellenden Autographensammler und ganz be­sonders auch der immer mit»bitte, bitte« kommenden kleinen Albumfräu­leins die ganzen inzwischen vergangenen 4 Wochen wegstibizt haben würden. Eine dieser Anfragen, die, wie ich im Uebrigen gerne zugestehe, durch­aus vernünftig und was ebenso wichtig ist, auch nicht compromittirenden Inhalts war, lautete dahin:» welche Berliner Bürger sollen in der Sieges-Al­lee aufgestellt werden?« Gut. Aber diese Frage, so vernünftig und gerecht­fertigt sie ist, ihre Beantwortung ist eine grosse Arbeit. Von Kurfürst Friedrich dem Ersten an, durch fast fünf Jahrhunderte hin festzustellen, welche Berliner Bürger jeweilig die»Eigentlichsten« gewesen sind, so loh­nend und dankenswerth dies ist, so schwierig ist es und repräsentirt alles in allem eine Frage, deren Lösung sich überhaupt nur sehr wenige Personen unterziehen können. Es ist eine Aufgabe, die wochenlange ernste Arbeit von besonders beanlagten Fachleuten(die ganz gewöhnliche, meist sehr prosa­ische»Stadtkunde« reicht dazu nicht aus) verlangt. Ist es nun nicht eine starke Zumuthung, solche Beisteuer gleichviel ob es sich um eine vernünf­tige oder nicht-vernünftige Frage handelt immer wieder und wieder zu verlangen? Ist die Stellung deutscher Schriftsteller eine solche, dass sie sich solcher Liebesthat zum Besten geschäftskluger Redaktionen und zur Neu­giersbefriedigung eines verehrlichen Publikums immer wieder hingeben können, auch wenn sie möchten? Ich finde, dass in diesem Punkte durchaus Wandel geschafft und beispielsweis in der hier herangezogenen, unsre Sie­ges-Allee betreffenden Angelegenheit eine Vertrauensperson, oder auch mehrere, ausgewählt und jedem einzelnen Ausgewählten für seinen Rath ein ziemlich hohes Honorar gezahlt werden müsste, wie man einem Spezi­alarzt in einem schwierigen Falle, den nicht jeder entscheiden kann, ein ho­hes Honorar zahlt. Warum sind immer arme Schriftsteller zur Abonnen­ten- und Einnahmevermehrung Anderer da? Im Uebrigen verwahre ich mich dagegen, dass ich persönlich nach solcher Honorarernte begierig sei, bin vielmehr umgekehrt gern bereit, mich in einem alljährlich einmal(aber nicht öfter) wiederkehrenden Ernstfalle für die blosse Ehre des Ausgewählt­werdens eigens noch bedanken zu wollen. Aber elf Zeitungsanfragen in vier Wochen, das ist zu viel, das ist eine Epidemie, gegen die Billigkeitsge-