Heft 
(2022) 114
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Laudatio auf Eda Sagarra  Holzner 137 Eda Sagarra , 1933 in Irland geboren, hat in Dublin , Freiburg im Breisgau und Zürich studiert und ihre Studien mit einer Dissertation über Hugo von Hofmannsthal an der Universität Wien abgeschlossen. Nach einer Dozen­tur an der Universität Manchester , die sie seit 1958 innehatte, und aufgrund einer Publikation, die bis zum heutigen Tag ein Standardwerk der Litera­turwissenschaft geblieben ist, Tradition und Revolution. Deutsche Literatur und Gesellschaft 1830 bis 1890(München 1972), erhält sie einen Ruf auf eine Germanistik -Professur am Trinity College Dublin(1975), auf eine Lehrkan­zel(um hier die in katholischen Gebieten nach wie vor gebräuchliche Be­zeichnung zu verwenden), an der sie nahezu ein Vierteljahrhundert bleiben sollte. Zum Abschied wurde ihr zu ihrem 65. Geburtstag eine Fachtagung gewidmet, deren Thema schon immer ihr zentraler Spezialbereich gewesen und bis zum heutigen Tag geblieben ist: Das schwierige neunzehnte Jahrhun­dert. Mehr als 40 Beiträge von Kolleginnen und Kollegen aus Irland , Eng­land, aus den USA und aus dem gesamten deutschsprachigen Raum des da­nach erschienenen Sammelbandes 2 dokumentieren das Ansehen, das Eda Sagarra in der Fachwelt genießt, aber auch die Weite und Vielfalt ihrer For­schungsschwerpunkte: Geschichtskonstruktionen, Gedächtniskultur, Poe­tik und Repräsentation, Geschlechtsspezifische Perspektiven, Literatur- und Kulturtheorie, schließlich noch deutsch -irische und deutsch -englische Be­ziehungen. Immer mittendrin, zentral: Theodor Fontane . Die nationalstaatlich orientierte Germanistik ist Eda Sagarra immer fremd geblieben. In einer Zeit, in der an vielen Universitäten noch von vier deutschsprachigen Literaturen die Rede gewesen ist, beobachtet sie die Li­teraturen der diversen Regionen schon konsequent eingebunden in den eu­ropäischen Gesamtzusammenhang und fest verankert in der Entwicklung der Sozialgeschichte. Diese angelsächsische Optik zeichnet bereits ihr Buch über die Deutsche Literatur und Gesellschaft 1830 bis 1890 aus. Ausführlich werden zunächst einmal die politischen und sozialen Verhältnisse in der Ära vor 1848 erörtert: die Gesellschaftsstruktur, die Rolle der Zensur, die Bedeutung der Landesgrenzen innerhalb des Deutschen Bundes , das Erzie­hungswesen und vieles andere mehr; merkwürdig, obgleich alles dagegen sprach, wie ruhig sich die Deutschen verhielten, denkt Eda Sagarra zurück, anders als die Einwohner Frankreichs , Italiens , der Schweiz . Berichte ame­rikanischer und englischer Reisender bezeugen: Die Deutschen galten im Ausland als wohlerzogen, aber nicht gerade weltoffen. 50 Jahre sp ä ter hin­gegen war alles anders. Die industrielle Revolution, der Ausbau der staatli­chen Verwaltung nach 1871 und der erleichterte Zugang zur höheren Bil­dung, die Bejahung der nationalen Einheit, kurz die Rahmenbedingungen für die Entwicklung der bürgerlichen Kultur und für die Literatur wurden neu festgesetzt. Indem Eda Sagarra bedachtsam über die Lebensgewohn­heiten der verschiedenen Bevölkerungsschichten in diesem schwierigen Jahrhundert berichtet, über die Einkommensunterschiede, über die diver-