Laudatio auf Eda Sagarra Holzner 139 kannte Autorin, Gräfin Ida von Hahn-Hahn (1805–1880), zur katholischen Kirche übergetreten war, um bald darauf in einem französischen Kloster unterzutauchen. Aus einer Thais war sozusagen eine Magdalena geworden[…]. 5 Die Literaturwissenschaft hat sich lange gesträubt, sich mit Büchern wie jenen von Ida von Hahn-Hahn und mit dem Markt, den sie beherrscht haben, zu beschäftigen; hat doch schon Joseph von Eichendorff derartiger» SalonPoesie der Frauen« 6 scheinbar ein für allemal das ihr zustehende Urteil gesprochen. Eda Sagarra aber registriert, wie diese Bücher in den katholischen Leihbüchereien noch bis weit ins 20. Jahrhundert hinein verzeichnet bleiben, welche Rolle sie in den Listen des Borromäusvereins(und damit noch lange in den diversen Volks- und Pfarrbibliotheken) spielen; und sie schlägt sogar hin und wieder gerne nach in den verschiedenen Volks- und Dienstbotenkalendern: Was da doch alles salonfähig war oder als salonfähig bezeichnet wurde, was da an Diskursen zu sozialen Konflikten, zu Themen wie Staatstreue, Vaterlandsliebe, Antisemitismus oder Ultramontanismus ablief …, das alles nämlich vermittelt erst angemessen den Rahmen, auf den, wie Eda Sagarra immer wieder nachweist, auch Fontane reagiert: dabei in den autobiographischen Schriften oft durchaus so, dass sich der Eindruck festsetzen kann, er teile in vielem die Ansichten seiner Umgebung; in seinen Romanen hingegen wesentlich differenzierter, denn sie verweisen eben doch auf ein eklatant komplexes, verschlungenes System von Zeichen und Andeutungen, das dafür sorgt, dass sie sich zu Zeitromanen erweitern, die alle Krisen des 19. Jahrhunderts mit Argusaugen verfolgen. Dass Eda Sagarra in ihren diesbezüglichen Studien zur deutschen Mentalitätsgeschichte wiederholt auf die Rolle der Jesuiten zu sprechen kommt, ist übrigens nicht weiter verwunderlich. Es dürfte genügen, hier an eine Anekdote zu erinnern, die John Banville vor kurzem erst überliefert hat, in seinem Buch Spaziergänge durch Dublin. Dort berichtet er, einer seiner Freunde hätte eines Tages einen Lehrer aus jener Jesuitenschule getroffen, die seinerzeit schon James Joyce besucht hatte, und er hätte, ziemlich unvorsichtig, diesen Priester auf den wohl berühmtesten Schüler seiner Einrichtung angesprochen. Banville :»Die Folge war ein jähes, zentnerschweres Schweigen, das der ehrwürdige Pater schließlich brach, indem er sich räusperte, zur Decke hinaufsah und murmelte: ›Ach ja, der Joyce. Nicht unbedingt einer unserer Erfolge.‹« 7 Die Perspektive! Unermüdlich betreibt Eda Sagarra das keineswegs luxuriöse Geschäft der akkuraten Darstellung aller Perspektiven der Erzähler sowie der Figuren Fontanes. Nicht zuletzt mit Blick auf die konstant brisante Frage des Antisemitismus in seinem literarischen Werk. Vieles, was Ruth Klüger in ihrem Aufsatz über Die Leiche unterm Tisch attackiert hat, kann Eda Sagarra deshalb» als Zeitkommentar in Form von personifiziertem Vorurteil« 8 ausweisen – um damit in vornehmer Manier und doch glas-
Heft
(2022) 114
Einzelbild herunterladen
verfügbare Breiten