Heft 
(2022) 114
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Laudatio auf Eda Sagarra  Holzner 141 dem Tempus des Erzählens in das Tempus der besprochenen Welt, also ins Präsens. Die Rede ist in dieser Passage von Touristen, und zwar von Men­schen, die Wien besuchen und»diese Stadt als eine Stätte unbeschwerten Frohsinns« erleben. Weiter heißt es dann:»Aber der nüchterne Wirklich­keitssinn und der bittere Spott, die sich bei den meisten Wienern hinter ei­nem Mantel liebenswürdiger Herzlichkeit verbergen«[Präsens], wären doch immer schon gerechtfertigt gewesen aufgrund der bestehenden, von der Stadtverwaltung umsichtig gesicherten Lebensbedingungen. 12 Ob das alle Menschen so sehen und unterschreiben würden, die in Wien leben oder wenigstens zeitweise in der Stadt gelebt haben, sei dahingestellt. Ganz si­cher ist dagegen, dass sich in der Perspektive, die ein so schönes Licht wirft auf die österreichische Metropole, eine Mischung aus Vertrautheit mit der Realität, Subjektivität und vor allem Liebenswürdigkeit verrät. Es ist dies eine Perspektive, die auch die Beschäftigung mit Literatur auszeichnet, wie sie Eda Sagarra in unnachahmlicher Manier beherrscht: Wie sie versucht, die Relektüre von Autorinnen und Autoren zu befördern, die aus ihrer Sicht von der Literaturgeschichte nicht immer gerecht behandelt worden sind, Ludwig Tieck zum Beispiel oder auch Karl Gutzkow , im Besonderen die ös­terreichischen»Meister des Unausgesprochenen« Grillparzer und Stifter. Wie sie hin und wieder in den Subtext ihrer Darstellung Handlungsanwei­sungen einstreut, die an die Adressen aller Instanzen der Literaturförde­rung gerichtet sind; so berichtet sie z. B. über Gottfried Keller , seine ersten Gedichte schon hätten die Zürcher Stadtväter bewogen, ihm ein zweijähri­ges Reisestipendium für Deutschland zu gewähren: In dieser Unterstützung und auch in ihrer späteren Förderung Kellers zeigten sie eine ungewöhnliche Weitsicht und bewunderungswürdige Folgerichtigkeit, denn Keller entwickelte sich langsam, und es gab zu­nächst wenig Anzeichen dafür, daß sich die Auslagen seiner sparsamen Mitbürger in seinem Falle lohnen würden. 13 Wie sie auch, um endlich wieder zu Fontane zurückzukommen, die Beden­ken nicht weniger Germanisten, der Autor der Effi Briest sei doch letztlich ein»Leichtgewicht« gewesen, entschieden zurückweist, indem sie zum ei­nen seine einzigartige Position unter den deutschen Erzählern seiner Zeit darlegt und zum andern seine Bedeutung im Rahmen der Geschichte des europäischen Realismus unterstreicht!