Heft 
(2022) 114
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146 Fontane Blätter 114 Freie Formen ten aller Gründe aus Finanzgründen. Denn Zürich war teuer, Wien ­hingegen war Anfang 1956, nach dem Abzug der Alliierten Besatzungs­mächte, sehr billig. Dort fand ich bei den Historikern bald meinen Doktor­vater. In den darauffolgenden Semesterferien besuchte ich meinen Dubliner Geschichtsprofessor, der jahrelang im Berlin der unmittelbaren Nach­kriegszeit gelebt und geforscht hatte, und erzählte ihm begeistert von mei­nem Vorhaben: »Eda«, sagte er,»daraus wird nichts.« »Wieso denn?«, fragte ich verblüfft. »Sie haben einen großen Nachteil, an dem nichts zu ändern ist.« »Und der wäre?« »Sie sind eine Frau.« »Das tut nichts zur Sache«, erwiderte ich,»ich kann so gut sein, wie ein Mann.« Da sagte er nichts, schmunzelte und schaute mich an: »Sicher. Aber wir leben in der realen Welt. Stellen Sie sich vor, Sie be­werben sich um eine Assistentenstelle. Die Mitbewerber sind alle Män­ner. Sie haben keine Chance!« Das, so müssen Sie als aufgeklärte Deutsche wissen, das war das damalige Irland , wo eine Frau im öffentlichen Dienst, inklusive im Lehrerberuf, ihre Stelle sofort aufgeben musste, wenn sie heiratete; wo eine Frau bloß zwei Drittel von dem verdienen durfte, was ein Mann erhielt für genau die glei­che Arbeit.(Das änderte sich, sehr zum Ärger unseres damaligen Finanz­ministers, erst in den siebziger Jahren, nachdem Irland Mitglied der Euro­ päischen Wirtschaftsgemeinschaft geworden war.) Und mein kluger Professor schaute dann zum Fenster hinaus und mur­melte vor sich hin:»There are no men in German studies.«»In der irischen Germanistik gibt es keine Männer!« To sleep, perchance to dream:» Schlafen vielleicht auch träumen, ja, das ists«. 5 So leicht trennt man sich nicht von seinem Lebenstraum. Gott­ hold Ephraim Lessing hatte sich erlaubt zu meinen: kein Mensch muss müs­sen. Ich aber musste. Denn wir Iren meiner Generation waren realistisch, namentlich, wenn es um den Lebensverdienst ging. Ich ergab mich in mein Schicksal und sattelte in die Germanistik um. Was hat das, so werden Sie sich jetzt etwas ungeduldig fragen, mit ­Fontane zu tun? Die Antwort lautet: So ziemlich alles. Denn in Fontane , in seinen Gedichten, Briefen und Reiseberichten nicht weniger als in seinem großen Erzählwerk, begegnete ich Deutschlands Geschichte in jenem schwierigen 19. Jahrhundert sozusagen ›von innen‹. Ein Beispiel: Als Katholikin war ich es gewohnt, in der deutsch - und eng­lischsprachigen Erzählliteratur jener Zeit dem stereotypen Bild meiner fik­tiven Glaubensgenossen zu begegnen fast immer nur den Unterschichten zugehörig, meist dümmlich und abergläubig. Wenn, selten genug, in einem Roman einer aus der gehobenen Gesellschaft auftrat, so war er meist, wie