Hans Dieter Zimmermanns Rückblick Holzner 157 schließlich, ab 1987, an der TU Berlin kam er mit einer Reihe namhafter Autorinnen und Autoren zusammen, über die vieles zu erzählen und nachträglich zu sagen wäre: Respektlosigkeit ist Zimmermann allemal fremd, stattdessen kann er dagegen mit zahllosen farbigen Zeichnungen aufwarten, im Plauderton oder Bummelton sozusagen, die eindringlich vor Augen führen, was ihn immer wieder berührt, bedrückt, beeindruckt hat: in jedem Fall das Zusammenspiel oder Auseinanderdriften, die Abstimmung von öffentlicher und privater Haltung. Einerseits Freundschaft, Zuneigung, Sympathien auch über politische Trennungslinien hinweg. Was sich recht anschaulich in Gesprächen und Lebensführungen zeigt; oder etwa auch in Nachrufen: wie im Nachruf des ehemaligen Wehrmachtssoldaten Helmut Heißenbüttel auf den ehemaligen KZ-Häftling Jean Améry oder im Nachruf des jüdischen Literaturwissenschaftlers und Kritikers Hans Mayer auf die katholische Schriftstellerin Gertrud von Le Fort . Andererseits: Angemessene Unerbittlichkeit, Distanz. Wie es die aus Galizien stammende, nach dem Krieg in Deutschland sehr populäre Dichterin Mascha Kaléko gehalten hat; als sie 1960 den FontanePreis der Akademie der Künste in Berlin (West) bekommen sollte und hören musste, dass der ehemalige SS-Standartenführer Hans Egon Holthusen den Preis überreichen würde, lehnte sie die Nominierung ab. – Zimmermann erinnert sich an Unterhaltungen und Debatten, an literarische Arbeiten und literaturwissenschaftliche Modeströmungen, an Persönlichkeiten der Grup pe 47 , Hans Werner Richter , Günter Grass , an Begegnungen in der Akade mie der Künste , allen voran Franz Tumler , Peter Huchel und Günter Eich , an Elisabeth Killy und Peter Szondi , aber auch an Konferenzen in Prag , an Len ka Reinerová und Ji í Gruša(dessen Werkausgabe er besorgt hat). Er hat viel gesehen und mitgestaltet und viel zu berichten, doch er erinnert sich genauso an weniger berühmte, aber für ihn eben unersetzlich gebliebene Menschen: Fontane hat bekanntlich nicht nur Effi Briest , er hat auch Roswitha ein Denkmal gesetzt, die von den überkommenen und überholten Reglementierungen im protestantisch-preußischen Milieu nie viel gehalten hat. Zimmermann setzt ebenfalls derartige Zeichen; schon in den Erinnerungen an Bad Kreuznach . Doch seine Geschichte von der Tante Hilde, die nie etwas gehabt, aber immer etwas gegeben hat, wenn es darauf ankam, steht unter den Glanzstücken der Erinnerungen ganz obenauf. So beginnt man in diesem Buch zu blättern, und man legt es dann doch erst aus der Hand, wenn man die letzte Seite ausgelesen hat. Denn es ist spannend zu verfolgen, wie Zimmermann die Berühmten gleich wie die Unbekannten mit derselben(gehörigen) Wertschätzung oder auch Distanz Revue passieren lässt, wie er in gewohnt eleganter Weise auf Texte eingeht und wie er dabei diversen Moden der zeitgenössischen Literaturbetrachtung eins auswischt.
Heft
(2022) 114
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