Heft 
(1994) 57
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Die Beziehungen zwischen den Fontanes und den Schlenthers waren also von beruflicher wie auch persönlicher Art, und weil beide Schlenthers Sympathie fanden bei beiden Fontanes, stellte sich eine zunehmende Ver­trauensatmosphäre ein. Die hier vorgelegten Briefe sind hauptsächlich auf praktische Fragen der Zusammenarbeit als Theaterkritiker für die "Vossi- sche Zeitung" gerichtet. Hier spricht Fontane seine Vorliebe für bestimmte Theateraufführungen aus und geht auf ganz praktische Fragen zum Geschäftsgang ein, wie er z.B. Eintrittskarten für verschiedene Vorstellun­gen bekomme u. dgl. m. Schlenthers Theaterkritiken finden meistens Fon­tanes Zustimmung, manchmal sogar seine begeisterte Aufnahme. 8 Fontane äußert jedoch auch gelegentlich milde Kritik, taktvoll in der Form eines kleinen Exkurses über poetologische und ethische Fragen (vgl. z.B. die Briefe vom 25. Januar 1887, 26. April 1888, 8. Oktober 1888).

Wirkliche Meinungsdifferenzen, so z.B. bei der Beurteilung von Ibsens Dramen, wurden gegenseitig respektiert. Dabei ist zu betonen, daß die Beziehung zwischen dem Autor Fontane und dem Kritiker Schlenther, der auch ein Gründungsmitglied der Freien Bühne (1889) war, große Folgen hatte für Fontanes Bekanntschaft mit Erneuerungen in der zeitgenössi­schen Literatur, besonders mit dem Wirken der Naturalisten, die sich damals als 'Realisten' bezeichneten. 9

Die hier vorgelegten Briefe spiegeln zum andern den geselligen sowie vertraulichen Umgang zwischen den Fontanes und den Schlenthers wider. Es handelt sich u.a. um Einladungen zu Ausflügen (6. Juni 1886), zu Zusammenkünften im gemütlichen Kreis (30. Januar 1890; 14. November 1897), Reisewünsche (28. Juni 1893) und Grüße und Einladungen (9. März 1897). Die persönliche Teilnahme Fontanes für Paula Schlenther zeigt sich wohl am deutlichsten in dem ausführlichen Brief vom 11. Februar 1895. 10 Eine schwere Kehlkopferkrankung - eine Folge der dauernden Überforde­rung der Schauspielerin - hatte Paula Schlenther im Herbst 1894 arbeitsun­fähig gemacht, und in seinem Brief an sie im Kurort San Remo versucht Fontane, diehochverehrte Frau und Freundin" mit allerlei liebenswürdigen Betrachtungen über Italien und Nachrichten aus der Heimat zu trösten und zu unterhalten. Welche Vertrauensposition Schlenther einnahm, wird wohl nirgends deutlicher als in Fontanes Brief vom 31. Dezember 1889, in dem er Schlenther einen "ostensiblen" Brief (eine Antwort auf einen Brief Mete Fontanes an Schlenther) in die Feder diktiert; Schlenther solle an Mete schreiben, daß für das Festbankett (am 4. Januar 1890) im Englischen Hause zu Ehren von Fontanes 70. Geburtstag alle Plätze schon besetzt seien, denn - wie vermutlich Schlenther, der bei diesem Anlaß als Zeremo­nienmeister fungierte, am Rande dieses Briefes vermerkt hat - "unliebsame Sippschaft [sollt e] ferngehalten werden".

In seinem Brief bittet Fontane Schlenther um Verzeihung, daß er ihn auch damit noch quäle, spricht aber von der Unerträglichkeit eines "öden, ver- mufften Bourgeoisstandpunkt[s]" und signiert mit "Ihr Jubelgreis" und "Pen­sionär der Vossin".

Die freundschaftlichen Beziehungen zwischen den Schlenthers und den Fontanes blieben auch nach Fontanes Tod (1898) und nach dem Tode von

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