Theodor Wolff über Theodor Fontane Rasch 17 Bäumen, in den Jahren der Liebe und der Nachtigallen – und man hat das Bild der jungen Berlinerin. Die Sentimentalität ist ihr lockender Reiz im Kampf um den Mann, wie das glänzende Federkleid des Goldfasans und der Gesang der Waldvögel lockende Reize sind – aber der praktische Sinn steht dahinter, wägend, rechnend, prüfend. Irrtümer und Missverständnisse Theodor Wolffs Rezension von Frau Jenny Treibel wahrt wenig Distanz zum Verfasser, das Bild Theodor Fontanes scheint an einigen Stellen überhöht, idealisiert und damit verzeichnet. So enthält die mit großer Hingabe geschriebene Kritik kleine Schnitzer, von denen die Verwechslung des Namens»Jenny« mit»Fanny Bürstenbinder« dem Leser sogleich ins Auge fällt. Andere Fehlgriffe Wolffs sind nicht so leicht zu erkennen. So irrt Wolff, wenn er empört die Zeitungsmeldung über Fontanes geplanten Wegzug von Berlin als»Unsinn« zurückweist. Die Nachricht war durchaus richtig. Fontane litt 1892 an einer schweren Depression. Um Erholung zu finden, reiste er am 21. Mai 1892(kurz zuvor dürfte er Wolff auf der Straße getroffen haben) mit Frau und Tochter nach Zillertal bei Schmiedeberg(Schlesien ). Sein extrem angegriffener Zustand besserte sich dort nicht. Niedergeschlagen, antriebslos, arbeitsunfähig, geplagt von Angstpsychosen und Existenzsorgen wurde hier der Plan gefasst, das vergleichsweise kostspielige, vor allem laute und aufregende Berliner Leben aufzugeben und sich dauerhaft im stillen Schmiedeberg anzusiedeln. Die in Sachen Fontane stets gut unterrichtete Vossische Zeitung meldete am 16. Juni 1892: »Theodor Fontane verlegt seinen Wohnsitz von hier nach Schmiedeberg im Riesengebirge , um dort in behaglichem Ruhestande, fern dem Geräusche der Großstadt, seiner Muse weiter zu leben. Möchten unserm verdienstvollen Mitarbeiter in der friedlichen Zurückgezogenheit der schönen Gebirgswelt noch viele Jahre freundlichen Geschickes beschieden sein!« Diese Meldung wurde von anderen Berliner Zeitungen übernommen. Vier Wochen später teilte das Magazin für Litteratur seinen Lesern freudig eine Rücknahme dieser Entscheidung mit:»Theodor Fontane verläßt sein getreues Berlin nicht.[…] Unser verehrter Altmeister litt an den Folgen eines Influenza-Anfalls, und um sie wirksamer zu bekämpfen, ging er nach Zillertal in Schlesien . Dort wird er bis zum Spätherbst ausharren, um dann nach Berlin in seine alte Wohnung zurückzukehren.« 36 Tatsächlich hatten die Fontanes inzwischen ihre Umzugspläne aufgegeben und kehrten Anfang September nach Berlin zurück.
Heft  
(2023) 115
Seite
17
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