Heft 
(2023) 115
Seite
52
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52 Fontane Blätter 115 Literaturgeschichtliches, Interpretationen, Kontexte selber sprach habe Carla Wenckebach nach dem Vorsatz gelebt,»to marry if the man comes her way, but otherwise to hunt congenital activity in pre­ference to man or motherhood«. 13 Ihre Verdienste um die Etablierung von Germanistik an Wellesley sind in der Tat kaum zu überschätzen. Zehn Jahre nach Wenckebachs Ernen­nung, zu Beginn von Bertha Trebeins Studium, bildeten Titel aus dem Be­reich deutsche Literatur und Philologie mit mehr als 3300 Bänden den größ­ten Bestand in der Collegebibliothek nach Geschichte(5000 Bände), Englisch (4000) und Bibelstudien(3700). Zu letzteren gehörten vier lateinische Werke aus Melanchthons Besitz mit seinem handschriftlichen Exlibris sowie eine Lutherbibel von 1545 mit Illustrationen von Lucas Cranach. An neuerer deutscher Literatur gab es auch einiges von Fontane, nämlich Erstausgaben von Kriegsgefangen(1871) und Grete Minde(1880) sowie die beiden ersten Bände der Wanderungen in einer Ausgabe von 1880. Um die Jahrhundert­wende kamen noch ein Nachdruck von Frau Jenny Treibel(1899) und die ach­te Auflage der Gedichte von 1902 hinzu. Flankierend zu ihren Lehrveranstaltungen entwickelte Carla Wencke­bach eine rege Publikationstätigkeit, zum Teil in Zusammenarbeit mit Kolle­ginnen, namentlich mit Margarethe Müller, die einige Semester in Göttin­gen studiert hatte, ohne sich indes immatrikulieren oder ein Examen ablegen zu können. Es dominierten für Unterrichtszwecke gekürzte und kommen­tierte Ausgaben populärer Werke von Schiller 14 , Gottfried Keller 15 , Viktor von Scheffel 16 und Felix Dahn 17 , doch gab es auch Anthologien, 18 eine deut­sche ­Literaturgeschichte 19 sowie verschiedene Lesebücher, 20 Grammati­ken, 21 Stil- und Sprachlehren. 22 Fast alle diese Titel durchliefen mehrere Auf­lagen und scheinen über lange Jahre hinweg nicht nur an Wellesley College in ebrauch gewesen zu sein. Wenckebach-Müllers Reader für anglophone Sprachschüler wurde noch 1926 in London neu aufgelegt. 23 Dass die Dozentinnen ebenfalls im College wohnten und gemeinsam mit den Studentinnen aßen, verstärkte noch ihren prägenden Einfluss auf den akademischen Nachwuchs. An Einzelheiten ist über Bertha Trebeins Zeit als Undergraduate allerdings nur wenig bekannt, abgesehen davon, dass sie am 12. Januar 1895 in einem Seminar über»The Literature of Socialism« ein Referat zum Thema»The social tendencies in the modern novel« gehal­ten hat. Lehrerin zu werden, und das galt gleichermaßen für Deutschland wie Amerika, war nahezu die einzige respektable Berufsperspektive für Frauen aus gehobenen Ständen, was in der Regel zugleich bedeutete, ledig und kinderlos zu bleiben. Dass Helene Herrmann verheiratet war, bildete insofern eine Ausnahme und zugleich ein weiteres Hindernis für eine wis­senschaftliche Laufbahn. Schon die Zulassung zur Universität und zur Pro­motion hatte sie sich mühsam erstreiten müssen. Ihre späteren Studien zu Fontane und anderen Autoren entstanden neben ihrer Lehrtätigkeit an ei­nem Berliner Gymnasium. Auch Bertha Trebein arbeitete nach ihrem BA