Heft 
(2023) 115
Seite
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Bertha Eleanor Trebein(1874–1963) Muhs 53 1897 zunächst einige Jahre als Sprachlehrerin, und zwar am Ursinus Col­lege in Freeland, einer Gründung der deutschen reformierten Kirche von Pennsylvanien, bevor sie diese Stelle nach dem Tod ihres Vaters aufgab, um das Familienunternehmen abzuwickeln. Materiell abgesichert, hätte sie sich anschließend in der Kleinstadt Xe­nia, wenige Kilometer entfernt von Beavercreek, wo ihre Schwester mit ih­rer jungen Familie lebte und wohin auch ihre Mutter übergesiedelt war, zur Ruhe setzen können. Ihre Ambitionen waren jedoch höher gesteckt, und da Karrieren wie die von Carla Wenckebach aus der Pioniergeneration der weiblichen Hochschulbildung infolge der fortgeschrittenen Professionali­sierung der amerikanischen Germanistik nach der Jahrhundertwende nicht mehr möglich waren, musste Bertha Trebein an eine Weiterqualifizie­rung denken. 24 Der Entschluss, sich auf eine Ozeanüberquerung einzulas­sen, um in Deutschland zu studieren, dürfte ein einigermaßen abenteuerli­ches Wagnis gewesen sein für eine alleinstehende Frau von 29 Jahren aus dem Mittleren Westen der USA, die überdies, laut Pass, lediglich 5 Fuß 1 Zoll(1,55 m) groß war. 25 Unverzagt traf sie jedoch im Sommer 1904 in Ber­lin ein, fand in der Steglitzer Straße 20, III. Stock, ein Zimmer und besuchte, da Frauen in Preußen bis 1908 nur ausnahmsweise zur Immatrikulation zugelassen wurden, als Gasthörerin drei Semester lang Vorlesungen und Seminare an der Universität Unter den Linden. Mit einer Arbeit zu»Schil­lers Ansichten über das Tragische mit Bezugnahme auf seine Dramen« er­warb sie nach ihrer Rückkehr 1906 in Wellesley ihren Magistergrad. 26 Noch in Deutschland war ihr vermutlich Paul Schlenthers 1905 heraus­gekommene Edition von Fontanes Causerien über Theater zu Augen gekom­men. Die Anregung, daran anknüpfend eine Doktorarbeit zu schreiben, ging auf Kamillo von Klenze zurück, einen gebürtigen Schweizer, der an der Brown University in Rhode Island unterrichtete und an den sich Bertha Trebein um Rat gewandt hatte, da die Frauencolleges noch kein Promo­tionsrecht besaßen. Zum Studienjahr 1906/7 wurde sie daraufhin von der Columbia University in New York City zum Doktoratsstudium zugelassen, das nach amerikanischer Praxis die Absolvierung vorbereitender Kurse und eine akademische Lehrtätigkeit voraussetzt, bevor Kandidatinnen oder Kandidaten ihre Dissertation in Angriff nehmen können. 27 Der nächste Schritt ihrer Ausbildung führte Bertha Trebein im Sommer 1907 an das Agnes Scott College in Decatur, heute ein Vorort von Atlanta/ Georgia, im tiefen Süden der Vereinigten Staaten. So fortschrittlich diese ebenfalls auf nichtstaatlicher Initiative beruhende Institution insofern war, als sie Frauen eine Hochschulbildung ermöglichte, bestand doch weiterhin eine unüberwindliche Rassenschranke: Schwarze Studentinnen wurden an ­Agnes Scott erst 1961 zugelassen. Im Übrigen waren Alltag und Lehrange­bot ähnlich aufgebaut wie in Wellesley, und nach dem Vorbild von Carla Wenckebach richtete Bertha Trebein auch im Speisesaal von Agnes Scott