Heft 
(2023) 115
Seite
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Bertha Eleanor Trebein(1874–1963) Muhs 59 was unweigerlich zu»Geschmacklosigkeiten und peinlichsten Geistreichig­keiten« führe. 54 Interessanterweise reklamiert Knudsen aber Fontane selbst nicht als Antisemiten, wie das in jüngerer Zeit geläufig geworden ist, son­dern präsentiert ihn als Antipoden jener»jüdisch-intellektuellen Kritiker­typen«, die»bei all ihrer Klugheit und ihrem geistreichen Stil nicht fähig waren, um einer Sache, eines Kunstwerks willen die Sprache zu führen, wie Fontane es rücksichtslos, ohne jede Absicht eines persönlichen Vorteils oder einer persönlichen Eitelkeit getan hat.« Ob»rücksichtslos« zu»füh­ren«, wie es NS-Wortgebrauch und Praxis entsprach, allerdings je Fontanes Sache war, auf welchem Gebiet auch immer, ist zu bezweifeln. Bei unbefan­gener Betrachtung hatte er zweifellos mehr gemein mit den von Knudsen verachteten»Kritikern der Systemzeit«. 55 Eine eingehendere Auseinandersetzung mit Trebeins Buch ist auch nach dem Untergang des»Dritten Reiches« ausgeblieben, obwohl es, mit allen frühen Bänden der»Columbia University Germanic Studies«, 1965 nachge­druckt worden ist. Die ausführlichen Auszüge aus den seit Ende des Zwei­ten Weltkriegs verschollenen Tagebüchern Fontanes sind noch in der 1994 abgeschlossenen Edition der erhaltenen Bände übersehen und erst bei Er­stellung der 2006 publizierten Fontane-Chronik wiederentdeckt worden, während Knudsen der Referenzpunkt für die Beschäftigung mit den Thea­terkritiken geblieben ist. Die betreffenden Bände der Nymphenburger und der Hanser-Ausgabe von Fontanes Werken verzeichnen Trebeins Studie nicht, und während Charlotte Jolles ihr zuletzt 1993 bescheinigt hatte, »noch heute von Wert« zu sein, 56 findet sich in der 2012 publizierten Projekt­skizze für eine vollständige Sammlung von Fontanes Theaterkritiken wie­der nur ein Hinweis auf Knudsen. 57 In späteren Beiträgen haben Gabriele Radecke und Debora Helmer dann zwar die Existenz von Trebeins Studie registriert, 58 im Literaturverzeichnis ihrer 2019 erschienenen vierbändigen Edition im Rahmen der Großen Brandenburger Ausgabe ist sie aber gleich­wohl nicht aufgeführt. Was bleibt also? Obwohl Bertha Trebein diesbezüglich keine program­matischen Äußerungen getan hat, darf sie ihrem Bildungsgang und ihrer Berufslaufbahn nach durchaus als Pionierin für emanzipierte Weiblichkeit im akademischen Bereich gelten. Dass ihre wissenschaftliche Laufbahn dann der erbitterten Ablehnung zum Opfer gefallen ist, die im Gefolge des Ersten Weltkriegs allem Deutschen entgegenschlug, ändert nichts an der Tatsache, dass der anglo-amerikanische Universitätsbetrieb Frauen früher und weiter offenstand als der deutsche. Ist es vorstellbar, dass jemand wie Charlotte Jolles in der Bundesrepublik noch eine akademische Anstellung gefunden hätte, nachdem sie durch die Rassegesetze des Dritten Reiches zur Emigration genötigt worden war und jahrelang in einem Kinderheim bzw. an einer Mädchenschule gearbeitet hatte? Nur dank ihrer Beschäfti­gung am Birkbeck College der Universität London konnte sie noch einmal