Heft 
(2023) 115
Seite
69
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Wiedergefunden Hehle 69 Fragmentstatus und überliefertes Material Wiedergefunden lässt sich als ›doppeltes Fragment‹ bezeichnen: Zum einen hat Fontane das Erzählprojekt nicht abgeschlossen, zum anderen wird etwa ein Drittel des in seinem Nachlass vorgefundenen und 1935 an das Theodor-Fontane-Archiv verkauften Materials seit 1945 vermisst. 3 Da we­der ein Vorkriegsdruck noch eine Abschrift existiert, ist der Text der ver­missten Seiten nicht bekannt. Jede Aussage über Wiedergefunden, jeder Versuch einer Analyse, Interpretation oder Kontextualisierung, aber auch jede editorische Entscheidung steht also unter dem Vorbehalt einer defizitä­ren Ausgangsbasis. Das überlieferte autographe Material verteilt sich auf die Standorte Theodor-Fontane-Archiv, Potsdam: 18 Seiten, und Deutsches Literaturar­chiv, Marbach: 2 Seiten. 4 Die archivalische Anordnung des solchermaßen rudimentären und aus beiden Archivbeständen zusammengefügten Kon­voluts widerspricht dem narrativen Zusammenhang, ein Widerspruch, der sich in den verschiedenen vorliegenden Editionen abbildet: So folgt der edierte Text in der Nymphenburger-(NFA) und der Hanser-Fontane-Aus­gabe(HFA) der archivalischen Zählung, 5 jener in der Fragmente-Edition (2016) jedoch dem narrativen Zusammenhang. Daran wird deutlich, dass der Text, den wir in Editionen vorfinden, niemals mit der Erzählung oder dem Roman, in diesem Fall dem Fragment ›selbst‹ gleichzusetzen ist. Viel­mehr repräsentiert er es, insofern er das Produkt einer Serie von Herausge­berentscheidungen ist, die auch anders hätten getroffen werden können. Im Fall eines Fragments unterscheidet sich der Status des überlieferten Mate­rials grundsätzlich stark vom edierten Text, da es keine vom Autor oder der Autorin als(end)gültig deklarierte Fassung gibt. Ein Erzählprojekt in drei Konzeptionen Das Fragment Wiedergefunden besteht aus drei offenbar in verschiedenen Arbeitsphasen entstandenen Konzeptionen. Fontane setzte mehrfach an und traf, soweit erkennbar, noch keine Entscheidung für eine dieser Konzep­tionen, die Verzweigungen und Überschneidungen aufweisen. Von Konzep­tion zu Konzeption bleiben die Grundzüge des Plots und der Figurenkonstel­lation(vgl. Abb. 1) stabil, ebenso die wichtigsten Handlungsräume, zentrale Handlungselemente und Stimmungsmotive(Provinz/Berlin, ›Osten‹, Blick aus der Burgstraße auf die Spreefront des Berliner Schlosses, Mésalliance, Frage nach dem Glück); ihre Akzentuierung variiert jedoch. Der Inhalt der drei Konzeptionen lässt sich folgendermaßen zusammenfassen: 6