Heft 
(2023) 115
Seite
88
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88 Fontane Blätter 115 Dossier: Fontanes Fragmente. Fortsetzung matische Richtung weisen würden und als Kontext in Frage kommen, so lohnt es sich, der Schopenhauer-Spur nochmals genauer nachzugehen. Definition von Glück im Fragment im Licht von Schopenhauers Eudämonologie Wie sieht nun der Glücksbegriff des größten Pessimisten unter den Philo­sophen aus? Die 1852 erschienenen Parerga und Paralipomena brachten­­Schopenhauer endlich jene Anerkennung ein, die dem bereits 1819 veröf­fentlichten Hauptwerk Die Welt als Wille und Vorstellung versagt worden war; das Spätwerk löste ein breites öffentliches Interesse aus, das lange währte und erst zu Beginn des 20. Jahrhunderts seinen Höhepunkt erreich­te. In bildungsbürgerlichen Kreisen erlangten vor allem die leichter lesba­ren, im Spätwerk abgedruckten Aphorismen zur Lebensweisheit große Po­pularität. Da Fontane einige Kapitel aus Parerga und Paralipomena exzerpiert hatte, lässt sich mit hoher Wahrscheinlichkeit davon ausgehen, dass er auch die Aphorismen kannte. Die Lesbarkeit von Schopenhauers Ausführungen zum Thema Glück ist allerdings einem Kompromiss geschuldet, zu welchem sich der Philosoph eher widerwillig durchgerungen hatte. In den Aphorismen leugnet Scho­penhauer bewusst den generalisierten metaphysischen Pessimismus des Hauptwerks, um auf diese Weise der Gattung ›Glücksratgeber‹ für das irdi­sche Leben überhaupt gerecht werden zu können:»Ich nehme den Begriff der Lebensweisheit im gänzlich immanenten Sinn, nämlich in dem der Kunst, das Leben möglichst angenehm und glücklich durchzuführen, die Anleitung zu welcher auch Eudämonologie genannt werden könnte: sie wäre demnach eine Anweisung zu einem glücklichen Daseyn.« 6 Eine Eudä­monie(Schopenhauer nennt es Eudämon ologie) setzt eine grundsätzliche Bejahung der Sinnhaftigkeit des Lebens voraus und auch die Annahme, dass Glück überhaupt durch eine bestimmte Lebensführung erreichbar sein könnte. Genau dies sah Schopenhauer im Hauptwerk Die Welt als Wille und Vorstellung gerade als nicht gegeben an. Der Kern der Willensphiloso­phie ist der Pessimismus, der unter anderem besagt, dass Lebensglück auf Erden nicht erreichbar ist, weil das Leben durch die Macht des metaphysi­schen Willens bestimmt wird, welcher zwar als überlebensnotwendige Triebkraft des Lebens hinter den Erscheinungen des Realen und Natür­lichen wirkt, der aber zugleich und eben hierdurch ewiges Leid, ewige Qua­len und allenfalls vorübergehende Lust und Glück bewirken könne. Das Glück kann nicht dauerhaft erlangt werden und gilt als reine»Chimäre«. 7 Um die Eudämonologie dennoch schreiben zu können, rückt Schopenhauer deshalb in den Aphorismen, und nur dort, vorübergehend von seinem ei­gentlichen»metaphysisch-ethischen Standpunkte« ab und lässt sich auf