Heft 
(2023) 115
Seite
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Allerlei Glück Wege 89 ­einen, in den eigenen Augen irrtümlichen,»empirischen Standpunkte« ein. 8 Erst unter derart selbstgewählten ›falschen‹ Voraussetzungen erlaubt sich Schopenhauer Überlegungen dazu, wie der Mensch, auf welchen We­gen und unter welchen Umständen, das Glück im realen Leben ungeachtet jener willensbedingten Widrigkeiten, dann doch, vielleicht und vorüberge­hend erlangen kann. Schopenhauer unterteilt die»Güter des menschlichen Lebens« in drei Klassen und diskutiert, inwiefern diese zum Lebensglück beitragen können: 1) Das erste und wichtigste Gut ist das Sein, dessen Kern das Verhältnis von Wille und Intellekt im Charakter des Einzelnen bildet, was jedoch in den Aphorismen nur am Rande zur Sprache kommt. 9 Zum Sein, zu dem,»[w]as Einer i s t: also die Persönlichkeit«, zählen auch»Gesundheit, Kraft, Schön­heit, Temperament, moralischer Charakter, Intelligenz und Ausbildung«. 10 2) Das zweite Gut oder auch die zweite Bedingung von Glück ist das, »[w]as Einer h a t: also Eigenthum und Besitz in jeglichem Sinne.« 11 3) Das dritte Gut sind Vorstellungen:»Was einer v o r s t e l l t:[] was er in der Vorstellung Anderer ist, also eigentlich wie er von ihnen v o r g e ­s t e l l t wird. Es besteht demnach in ihrer Meinung von ihm, und zerfällt in Ehre, Rang und Ruhm.« 12 Allein das Sein(1) erachtet Schopenhauer als wahre und fruchtbare Be­dingung für das Erreichen von Lebensglück; Besitz und Vorstellungen dage­gen werden als äußerlich und relativ abqualifiziert. Sie sind dem, was einer ist, unterlegen, da sie nicht geeignet seien, die innere»Leere« zu füllen oder das Sein zu ersetzen. 13 Das Sein ist notwendig eine Kategorie des Inneren; 14 gemäß der Charakterlehre im Hauptwerk ist das Sein von der Natur vorbe­stimmt und somit unveränderlich. 15 Was einer ist kann also nicht von außen beeinflusst oder etwa durch Erziehung nachhaltig verbessert werden, auch nicht in moralischer Hinsicht. Aus diesen Eigenschaften lässt sich schließen, dass der Begriff des Seins in den Aphorismen mit dem äußerst heiklen Ver­hältnis von(triebhaftem) Willen und Intellekt nahezu identisch ist, was Schopenhauer jedoch wohlweislich unerwähnt lässt, denn der Wille, so lehrt es Schopenhauer in Die Welt als Wille und Vorstellung, ist die Wurzel maßlosen Leidens und Unglücks. Die beiden Glücksbedingungen Besitz(2) und Vorstellung(3) Letztere im Reich des Intellekts verortet, dem triebhaf­ten Willen entgegengesetzt und ihm dabei regulär unterlegen sind nach Ansicht Schopenhauers zwar äußerlicher und relativer Natur, dennoch räumt er ihnen insoweit ein sekundäres Glückspotenzial ein, als man sie ob­jektiv anstreben und durch aktives Handeln in ihren Besitz gelangen kann. Für das Verständnis der vielschichtigen Semantik von Glück in Fontanes Fragment besonders relevant ist eine Bemerkung im einleitenden Abschnitt der Aphorismen, im Absatz zu Was einer ist(dem Sein), worin chopenhauer erklärt, inwiefern eine bestimmte Lebensweise dem Glück zuträglich sein kann: