Heft 
(2023) 115
Seite
90
Einzelbild herunterladen

90 Fontane Blätter 115 Dossier: Fontanes Fragmente. Fortsetzung Das Einzige, was in dieser Hinsicht in unserer Macht steht, ist, daß wir die gegebene Persönlichkeit zum möglichsten Vortheile benutzen, dem­nach nur die ihr entsprechenden Bestrebungen verfolgen und uns um die Art der Ausbildung bemühen, die ihr gerade angemessen ist, jede andere aber meiden, folglich den Stand, die Beschäftigung, die Lebens­weise wählen, welche zu ihr passen. 16 Entscheidend ist hier die Passgenauigkeit von Sein und gewählter Lebens­weise(Umwelt). Zusammengefasst definiert Schopenhauer das Glück über folgende Fak­toren: Verortung im Inneren(Sein) und nicht im Äußeren(Besitz und Vor­stellungen); Vorbestimmtheit beziehungsweise Unveränderlichkeit durch äußere(das heißt soziale, gesellschaftliche!) Einflüsse; Angemessenheit und auch Passgenauigkeit der gewählten Lebensumstände im Verhältnis zum individuellen Sein(dem Inneren, der Natur oder dem natürlichen Zustand). Tugend und Moral können wohlweislich keine Rolle spielen, aus dem Grun­de, da der Anteil des Willens am Sein, der Natur des Menschen nicht mora­lisch, sondern sogar amoralischer Art ist(dies erschließt sich allerdings nur aus dem Hauptwerk). Vor diesem Hintergrund lohnt sich nun ein Blick auf den Plot und die Glücksdefinitionen der Figuren in Allerlei Glück. Im Folgenden konzentrie­re ich mich auf jene Figuren, für die Fontane nachweislich eine philosophi­sche Kontur vorgesehen hatte. Zunächst gilt festzuhalten, dass der globale Plan Fontanes, allerlei Glück, vielerlei glückliche Lebensweisen und Lebens­wege am Beispiel diverser Figuren zu erzählen, grundsätzlich höchst kom­patibel ist mit dem Fokus der schopenhauerschen Definition auf das mög­lichst individuell passgenaue Verhältnis zwischen Sein/Natur und»Stand, Beschäftigung, Lebensweise« des Einzelnen(siehe Schopenhauer-Zitat oben). Fontanes Konzeption sah vor, das Leben von überwiegend antago­nistisch angeordneten Figuren zu schildern, darunter Personen unter­schiedlichen Standes(Bürger und Adlige), in divergierenden Berufen(Stu­benhocker und Weltreisende), Konfessionen(Protestanten und Katholiken) und mit gegensätzlichen Moralvorstellungen enthaltsame Nonnen und Mönche ebenso wie Personen mit ›lasterhaftem‹ Liebesleben. Weder bei Schopenhauer noch bei Fontane gibt es nur eine, oder rein äußerliche, ein­zig an der Einhaltung moralischer Normen und gesellschaftlicher Konven­tionen orientierte Lebensweise, die das Lebensglück des Einzelnen garan­tieren könnte. Bemerkenswerter Weise findet sich eine partielle wörtliche Überein­stimmung von Schopenhauers Kriterium der Passgenauigkeit mit einer For­mulierung Fontanes im Fragment: Im Zentrum eines zentralen Erzähl­strangs von Allerlei Glück stehen die Lebensentwürfe von Axel und Karl (auch Karlmann), den beiden Neffen des Brüderpaars Wilhelm und Heinrich Brose. 17 In mehreren Gesprächen versuchen die Onkel, die jungen Männer