Heft 
(2023) 115
Seite
162
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162 Fontane Blätter 115 Rezensionen Publikation von Handbüchern verdientermaßen einen guten Ruf erworben. Dennoch fragt es sich, ob ein vergleichsweise schmaler Roman wie Effi Briest mit sehr begrenztem Figurenarsenal, einigen wenigen Handlungs­räumen und einsträngiger Handlung bei allem Reichtum an Themen und Diskursen, die daran anschließen, der adäquate Gegenstand für ein separa­tes Handbuch ist. Anders mag es sich bei Prousts Recherche verhalten, bei der Divina Commedia und der Comédie humaine oder dem Romankosmos von Anthony Trollope, wo man den Überblick über Dutzende von Figuren und eine große Zahl von Schauplätzen und Zeitebenen behalten muss. Bei einem Roman von etwa 350 Seiten hingegen erzeugt die Auffächerung in die vielen Teile und Kapitel eines Handbuchs unvermeidlich Redundanzen: Wie­der und wieder werden die gleichen Handlungselemente referiert, wieder und wieder dieselben Textstellen zitiert. Ebenso führt die Vielzahl der Her­angehensweisen und Autor*innen, wie bereits erwähnt, notwendigerweise zu Widersprüchen und Unausgewogenheiten in Darstellung und Bewer­tung. Peter-Klaus Schusters Studie Theodor Fontane: Effi Briest Ein Leben nach christlichen Bildern(1978) liefert beispielsweise das Grundgerüst des Kapitels Religion(Irene Zanol), während gleich zu Anfang des Kapitels Kunst und Musik(Klaus Müller-Salget) mit eher schwacher Begründung erklärt wird, Schusters Buch bleibe vermutlich als zu weitführend hier unbe­rücksichtigt(S. 204). Mehrfach werden ›spekulative‹ Interpretationen des Romans wie Bindokat 1984 oder Masanetz 2001 mit einer gewissen Herab­lassung als»eigenständige Dichtungen«(S. 86, vgl. auch S. 155) abgewertet, ohne sie zu diskutieren, wiewohl sie zweifellos zur Forschungsgeschichte gehören. Im Gegensatz dazu stützt sich eine ganze Passage des Kapitels über »Ehe, Erotik und Sexualität« mit ausführlichen Zitaten auf die gewiss nicht weniger spekulative Arbeit von Settler 1999(S. 163) und die Deduktionen in Andersons The Making of Effi Briest(2018) werden im Kap.»Hermeneutik« in der Art eines gesicherten Quellenbestandes behandelt(S. 234ff.). Solche Divergenzen werden in einem Sammelband niemanden stören, in einem Handbuch würde man sich jedoch eine klarere Gesamtrichtung oder zumin­dest eine Moderation der Widersprüche wünschen. Im Idealfall ist ein Handbuch ein ausgezeichnetes Hilfsmittel, um sich über einen unvertrauten Gegenstand oder Themenbereich rasche und zu­gleich profunde Orientierung zu verschaffen. Will man sich weiter vertiefen, dient es als Leitfaden; lässt man es damit genug sein, so ist man für seine Zwecke gut und ausreichend informiert. Voraussetzung dafür sind eine prä­gnante Konzeption und Gliederung sowie sachliche Präzision und Richtig­keit mit anderen Worten: Ein Handbuch lebt neben der Qualität der Beiträ­ge vor allem von der Leistung der Herausgeber und der Gründlichkeit der Redaktion. Auf beides ist hier leider nicht die optimale Sorgfalt verwendet worden. Neben den Redundanzen, den sachlichen Ungenauigkeiten und dem Mangel an Prägnanz in Gliederung, Betitelung und Terminologie ist