Heft 
(2023) 115
Seite
164
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164 Fontane Blätter 115 Rezensionen der Aufklärung und der Aufklärungsforschung sowie Fontanes Werk und seiner bisherigen Erforschung gleichermaßen zu entsprechen. Das ist von vornherein gewagt, als Ansatz aber auch zu begrüßen, denn anstatt Hero­enverehrung zu betreiben die Versuchung dazu ist bei einem Dichter wie Fontane und seiner leidenschaftlichen Leserschaft immer gegeben und hervorzuheben, was Fontane alles an Späterem vorweggenommen habe, wird in diesem Band untersucht, was dieser Vielseitige dem Vorangehen­den, eben der Epoche der Aufklärung zu verdanken hat, wo er von ihren Ideen abweicht und wo er sie vereinfacht oder schlicht ignoriert. Die spannungsreiche Beziehung Fontanes zur Aufklärung zu analysie­ren und zum Teil überhaupt erst aufzudecken, ist keine leichte Aufgabe, wes­halb man im gesamten Band durchgehend den Begriffen der Spurensuche und der Ambivalenz begegnet und immer wieder mit auffällig behutsamem Vorgehen konfrontiert wird. Kein Wunder, ist Fontane nicht zuletzt auf­grund seines biblischen Alters und seines umfangreichen Werks ein wider­sprüchlicher und gerade in seinem Verhältnis zur Aufklärung ein wider­ständiger Autor, der mit seiner konservativen, altpreußisch-vaterländischen Haltung, seinen antisemitischen Tendenzen oder auch seiner plumpen, die Aufklärung parodierenden Arroganz das Thema des Bandes zuweilen ad absurdum zu führen droht. Dass die Herausgeber sich von diesen längst bekannten und doch nur partikularen Charakterzügen Fontanes nicht ha­ben beirren lassen, hat sich als Dienst für die Forschung und die Leser Fon­tanes erwiesen, denn für diesen sinnvoll strukturierten Band, so viel darf vorweggenommen werden, ist besonders aufgrund seines Ansatzes eine Leseempfehlung auszusprechen. Leider wird es im gegebenen Rahmen nicht möglich sein, diese Empfehlung an jedem einzelnen Beitrag zu erläu­tern. Auch gilt es im Folgenden, einige Kritikpunkte anzusprechen, die sich bei einem solchen Vorhaben notwendig ergeben. Aber zum Eigentlichen: Die Einführung von Matthias Grüne und Jana Kittelmann bewältigt die Schwierigkeit einer Erstannäherung an die diffuse aufklärerische Erbschaft Fontanes, indem sie am Ende seines Schaffens ein­setzt mit dem Stechlin und Pastor Lorenzens Diktum vom einstigen Fort­schritt, der längst Rückschritt geworden sei, was augenblicklich den eigenen Hinterfragungsapparat anspringen lässt: Was genau ist hier unter»Fort­schritt« und»Rückschritt« zu verstehen, wie genau überblenden sie einan­der, wohin genau sind»einmal« und»längst« zu datieren und inwiefern ist diese Figurenrede repräsentativ für Fontanes Verständnis von Aufklärung? Umgehend wird man in das Thema hineinversetzt und ist gezwungen, wie der alte Stechlin hinter alles ein Fragezeichen zu setzen: ein hervorragend gewähltes Zitat, um den Band zu eröffnen, dessen Einleitung deutlich macht, dass der Befund über»Fontanes heterogene, facettenreiche und vielfältige Bezugnahmen auf die Epoche der Aufklärung«(S. 9) hier von der ersten Seite an durchdrungen und in seiner Komplexität ernstgenommen wird.