Heft 
(2023) 116
Seite
30
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30 Fontane Blätter 116 Unveröffentlichtes und wenig Bekanntes druck, der aber die garstige Sache trifft, mir von Ihrem holden Ephe­bengeist gütig gestattet würde und wo bald darauf, zu unserem Heil in einer anderen Ecke, das blasse Köpfchen des stammelnden Jünglings auftauchte, der später in der politischen Geschichte des Deutschen Rei­ches eine ungeahnt wichtige Rolle spielen sollte: das Minister schre­ckende und in die Flucht scheuchende Haupt Heinrichs Leckert. Auch diesem Trefflichen lag damals nur das Theater im Sinn und Sie denken lächelnd vielleicht noch des Tages, da er mich, wie das braune Bohemer­weib einst Schillers lothringischen Bauern, 55 antrat und bat, seinen be­währten Händen die Theaterkritik der»Zukunft« anzuvertrauen. Er blieb seiner ersten Liebe nicht lange treu, bog bald in die Lützowstraße und wurde ein politischer Fallensteller und Maskenverleiher. 56 Sie aber Sie nehmen mir, den man wundervoll witzig den Familien-Leckert des Hauses Bismarck und ganz ernsthaft den Spießgesellen der Lützows ge­nannt hat, den Vergleich doch nicht übel? Sie blieben standhaft und stark bei der ersten Leidenschaft Ihrer frischen Jugend und haben auch heute noch, wenn Sie aus Höflichkeit sich auch manchmal verstellen, nur die eine Herzenswonne, das eine Interessenziel: das Theater. Leugnen Sie nicht! Selbst die liebe und kluge Gattin haben Sie ja unter den weni­gen Glücklichen erkürt, die rein und ruhig durch das schwüle Coulis­senreich wandern durften. 57 Allerdings sei Linsemann nicht mehr so»fanatisch wie früher«, er habe »resigniert«, gerade so viel, um»zwei köstliche Güter« zu gewinnen,»Ruhe und Skepsis«. 58 Früher schmollten Sie ganz allerliebst, wenn nicht ohne Ermatten stets vom Theater geredet wurde, und waren böse auf mich, weil ich nicht oft, denn Sie wissen, ich bin nicht redselig, aber doch mitunter von politischen und sozialen Dingen sprach. Das war für Sie ganz und gar verlorene, nutzlos vergeudete Zeit; das dankenswerth freundliche Ge­fühl, das Sie für mich hegen, forderte, ich solle mich beständig mit dem Theater beschäftigen, nur über das Theater schreiben, alle anderen langweiligen Sachen in die Rumpelkammer verweisen und namentlich nicht höhnisch lächeln, wenn Sie Tag für Tag um sieben Uhr pünktlich in irgend ein Schauspielhaus pilgerten. Wie gern hätte ich mich Ihren Wünschen gefügt! Glauben Sie, daß es mir Freude macht, das gemeine Gewerbe des politischen Publizisten zu treiben, daß ich nicht viel, un­endlich viel lieber mich mit saubereren Sachen befaßte, daß ich nicht weiß, wie viel mehr für die Menschheit die Neunte Symphonie und der Hamlet bedeuten als alle Marschälle 59 und Boetticher 60 dieser Erde?... Nicht eigene Wahl hat mich vor die häßliche Aufgabe gestellt, sondern das Gefühl einer Pflicht, der Pflicht,»auszusprechen, was ist«, und, ohne nach irdischen Göttern und Teufeln zu fragen, in einer Zeit schlimmster Verwirrung, Verhüllung, Heuchelei und Fälschung furchtlos, aber auch