Heft 
(2023) 116
Seite
125
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Erinnerungen an Hans-Heinrich Reuter  Erler 125 Dass die Schutzumschläge beider Bände der Erstausgabe das Fontane-Por­trät Max Liebermanns von 1896 abbilden, vermittelt mir noch heute das Gefühl von Klassizität und Dauer, von überzeitlicher Gültigkeit. Das monumentale Werk erschien 1968 im Ost-Berliner Verlag der Nation und als Lizenz im gleichen Jahr in der Nymphenburger Verlagshandlung München; es war ein deutsches Ereignis. Abgesehen davon, dass der Umfang des Werks, seine stringente Gliede­rung sowie seine kompakte Darstellungsweise einer größeren Verbreitung nicht förderlich waren(man konnte es nicht mal so nebenbei lesen), abgese­hen von dieser Komplexität, stieß es in West und Ost auf unterschiedliche Erwartungen und Gewohnheiten. Den Weißwurst-Äquator hatte Fontane noch nie überquert, und die alte Garde der Fontanisten in der Bundesrepublik war wohl irritiert von der Art, wie besagter Leuchtturm den guten Fontane intensiv von links her be­leuchtete und nichts von jenem»heiteren Darüberstehen« übrigließ, in dem man sich(nach dem Titel eines 1937 erschienenen Bandes mit neuen Fami­lienbriefen) weithin gemütlich eingelebt hatte. Im Osten dagegen war genau diese Sicht zwar willkommen, wenngleich man den Verfasser der Wanderungen durch die Mark Brandenburg wegen aktueller politischer Aktionen nicht brauchen konnte; die Landwirtschaft wurde gerade ›kollektiviert‹, und der Slogan dazu lautete:»Junkerland in Bauernhand«. Und dazu passte der vermeintliche Adelsverherrlicher und Preußensänger Fontane nicht, wie ihn zuständige Funktionäre im Beton­kopf hatten. Insofern kam ›der Reuter‹ aufklärend genau zur rechten Zeit, und er trug ähnlich wie die achtbändige Ausgabe der Romane und Erzählungen im Aufbau-Verlag essentiell dazu bei, dass der stellvertretende Kulturmi­nister Bruno Haid 1969 bei der Festveranstaltung zum 175. Geburtstag in Potsdam den Autor endlich ins ›nationale Kulturerbe‹ integrierte.(Bei der Zögerlichkeit der kulturpolitischen Bürokratie musste der Aufbau-Verlag trotzdem noch vier Jahre auf die Druckgenehmigung für die vollständige Ausgabe der Wanderungen warten!) Was Reuter mit seinem Opus magnum umfassend Dauerhaftes geschaf­fen hat, kann gar nicht hoch genug bewertet und geschätzt werden, zumal die Materialien dazu ja seinerzeit noch keineswegs durch Edition, Archiv­arbeit und Studien aufbereitet waren. Die großen Werkausgaben hatten gerade erst begonnen, und die frühen Editoren bei den Münchener Ausga­ben waren Pardon zum Teil nur bemühte Liebhaber und Dilettanten; und so kam es in den sechziger Jahren bei Hanser zu der grotesken Fehlent­scheidung, die sogenannte Dominik-Ausgabe als Textgrundlage zu wählen, die rezeptions- und werkgeschichtlich völlig belanglos und verlagsrechtlich problematisch ist. An die mit der Aufbau-Ausgabe verbundenen Bemühun­gen, Fontane auch philologisch ernst zu nehmen und als Sprachkünstler