Heft 
(2023) 116
Seite
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126 Fontane Blätter 116 Freie Formen sorgsamst zu behandeln, war anfangs noch gar nicht zu denken. Die wich­tigen Briefwechsel und die zugehörigen Kommentare(mit Ausnahme der Briefe an Friedlaender) gab es noch längst nicht: Die vierbändige Ausgabe bei Propyläen(1968 ff.), die Briefe an Hertz(1972), die umfangreiche Aus­wahl bei Hanser(1976 ff.), den Familienbriefwechsel mit den Merckels (1987), den Ehebriefwechsel(1998) und die Tagebücher, die, soweit erhalten, sekretiert im Fontane-Archiv lagen. Reuter hat sich den kaum überschaubaren Fontane-Stoff also nicht an editorisch erschlossenen Ausgaben und deren Kommentaren und Regis­tern, sondern aus unzähligen Quellen mühsam erarbeiten müssen. Und er hat bei seinen Recherchen, zum Beispiel im Fontane-Archiv, die enormen Defizite der frühen Briefausgaben aufgedeckt und darüber mehrfach be­richtet. Nicht zufällig hat er sein Werk dem Fontane-Archiv gewidmet, das damals noch Bestandteil der Brandenburgischen Landes- und Hochschul­bibliothek war. All diese Umstände müssen mitbedacht werden, wenn man gelegent­liche Fehler und(die wenigen) inhaltlichen Schwachstellen des Werkes re­gistriert. Ich erinnere mich zum Beispiel, wie Reuter irritiert und verdros­sen war, als ich ihm erzählte, dass ich gerade die Handschrift von Mathilde Möhring wieder aufgefunden hatte, die entgegen seiner Darstellung doch in siebzehn wohlgeordnete Kapitel eingeteilt und mit Notizen für die weite­re Bearbeitung versehen ist. Ich konnte seinen Verdruss gut verstehen, denn er hatte das vermeintliche Fehlen einer Kapitelgliederung als Zeichen des weitgehend Unfertigen des Nachlassromans interpretiert. Ich kann nur immer wieder meinen allergrößten Respekt vor Reuters Arbeit bei dieser Material- und Editionssituation bekunden und bin faszi­niert von der Vielzahl von Dokumenten, die er gesucht und gefunden hat: zum Beispiel den Aufsatz von Heinrich Mann zum 50. Todestag 1948 mit der fabelhaften Passage über den Romancier Fontane, die Reuter seinem Werk als Motto vorangestellt hat. Und ich bewundere seine Arbeitsleistung überhaupt, denn er hat 1960 auch den für die Entwicklung der Forschung grundlegenden Band Schrif­ten zur Literatur bei Aufbau und 1964 die fünfbändige Werkausgabe in der Bibliothek Deutscher Klassiker und(ebenfalls 1960) die schöne, populäre Sammlung Von Dreißig bis Achtzig in der Dieterichschen Verlagshandlung herausgegeben(als Lizenz auch bei Nymphenburger), in der er, an Fontanes Autobiographie Von Zwanzig bis Dreißig anschließend, dessen Leben in seinen Briefen dokumentierte. Dass er dabei(im Jahre 1960!) weithin auf die alten, verderbten Texte zurückgreifen musste und sein früher Tod eine spätere Revision verhinderte, ist geradezu tragisch, weil das Buch noch im­mer im Umlauf ist und viel benutzt wird. Fast unvorstellbar, dass Reuter in dieser Zeit kreativer Produktivität auch die dreibändige Abteilung Autobiographische Schriften in Goethes