Heft 
(2023) 116
Seite
127
Einzelbild herunterladen

Erinnerungen an Hans-Heinrich Reuter  Erler 127 Berliner Werkausgabe im Aufbau-Verlag betreut und Vorarbeiten für den vierten Band geliefert hat(1960–1962). Die Lektüre seiner Kommentare vermittelt den Eindruck, dass er bei Goethe genauso gut zu Haus war wie bei Fontane, und es ist sehr zu bedauern, dass er die in den siebziger Jah­ren begonnene Goethe-Monographie nicht zu Ende bringen konnte. Sie hätte die sterile Goethe-Darstellung der Germanistik und die doktrinäre Verehrung des Dichters in der DDR sicher hochinteressant konterkariert und aufgeraut. Ich habe Hans-Heinrich Reuter als eine Ausnahmeerscheinung in Erin­nerung, die ihren wissenschaftlichen Weg ohne universitäre Anbindung ging. Er wurde 1923 in Pirna geboren, studierte Germanistik und Ge­schichte in Berlin(durch den Dienst in der Nazi-Wehrmacht unterbrochen), legte 1947 die zweite Lehramtsprüfung ab, war Lehrer in Zwickau, Dozent am Pädagogischen Institut in Leipzig, promovierte 1947 in Jena mit einer Arbeit über den Erzähler Otto Ludwig und wurde Mitarbeiter der»Natio­nalen Forschungs- und Gedenkstätten der klassischen deutschen Literatur in Weimar«, wo er unter anderem von 1967 bis 1972 das Institut für deut­sche Literatur leitete. 1967 habilitierte er sich in Jena. Mit Werner Rieck arbeitete er bis zu seinem Tod am Band 6 der Geschichte der deutschen Li­teratur(Volk und Wissen 1979). Reuter war ein freundlich-kommunikativer und höchst geselliger Mensch, der gern und gescheit ›Leben in die Bude‹ brachte. Ich habe noch gut im Gedächtnis, wie er 1969 beim abendlichen Zusammensein der Kon­ferenzteilnehmer die Devise ausgab:»Wer heute Abend noch mal den Na­men Fontanes nennt, zahlt fünf Mark!« Er pflegte seinen Urlaub mit der Familie in Kirchdorf auf der Ostsee-Insel Poel zu verbringen, und die trink­festen Fischer dort hatten gegen ihn kaum eine Chance. Wir kannten uns ganz gut aus Gesprächen und von Tagungen und Kon­ferenzen, und ich habe diesen hochqualifizierten Wissenschaftler auch sehr persönlich erlebt, als ich Anfang der siebziger Jahre bei der Herausgabe der Briefe Fontanes an Julius Rodenberg(1973) sein Lektor war. Reuter kam stets bestens vorbereitet zu den Besprechungen und ging klug und konzili­ant auf Veränderungsvorschläge ein. Dieses freundlich-kollegiale Verhal­ten hat die Zusammenarbeit zwischen ihm und den Mitarbeitern von Archi­ven und Verlagen offensichtlich stets bestimmt; seine Danksagungen an Joachim Schobeß(Fontane-Archiv), an Bruno Brandl und Margot Böttcher (Verlag der Nation), Helmuth Holtzhauer(Weimarer Forschungsstätten) oder Rudolf Marx, den legendären Chef der Dieterichschen Verlagsbuch­handlung in Leipzig, sprechen für sich. Und stets hat er auch seiner engsten Helferin gedankt, seiner Frau Rita, die die Register zu allen seinen Editio­nen erarbeitete. Weniger kollegial muss(natürlicherweise) Reuters Beziehung zur SED und zu den politischen Umständen im Lande DDR gewesen sein. Einem