Heft 
(2023) 116
Seite
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128 Fontane Blätter 116 Freie Formen ­variantenreichen Gerücht zufolge soll er aus der Partei ausgeschlossen worden sein, nachdem er im Weimarer Hotel Elephant den damaligen Mi­nisterpräsidenten von Rheinland-Pfalz, Helmuth Kohl, um ein Autogramm gebeten hatte. Es ist, um ein Beispiel zu geben, schon etwas verwunderlich, dass Reuters Fontane-Monographie nicht im Aufbau-Verlag erschien, wo er durch die konzentrierte Mitarbeit an der Goethe-Ausgabe und den Band Schriften zur Literatur ja Haus-Herausgeber war. Sollte da jener obskure kulturpolitische Steuerungsmechanismus wirksam gewesen sein, der Pro­blematisches, eventuell Störendes an ›kleinere‹, den Blockparteien gehören­de Verlage delegierte(der Verlag der Nation gehörte der Nationaldemokra­tischen Partei der DDR)? Und noch merkwürdiger finde ich die Tatsache, dass Reuter mit seinem epochalen Opus über Fontane nicht zu den Nationalpreisträgern in der ­Leitung der Forschungsstätten gehörte, sondern 1972 den West-Berliner Fontane-Preis erhielt. Einem on-dit zufolge soll in das von dem renommier­ten Dresdener Maler Wilhelm Rudolph gemalte Bild der Ausgezeichneten nachträglich Reuters Kopf eingefügt worden sein. Reuter war, auch das muss noch gesagt werden, ein strenger Richter und ein unerbittlicher Kritiker, wenn er etwas als unrecht, falsch oder misslun­gen erkannt hatte. Unvergesslich ist seine vernichtende Rezension über den Kommentar zur Ausgabe der Briefe Fontanes an seinen Verleger Wilhelm Hertz, die Kurt Schreinert begonnen hatte und die Gerhard Hay völlig unzu­reichend zu Ende führte. Ähnlich rigoros handelte Reuter in seiner Mono­graphie das Thema Julius Petersen ab. Er hatte sich auf den Berliner Germa­nisten, aus dessen berühmtem Fontane-Seminar der zwanziger Jahre mehrere künftige Fontane-Spezialisten hervorgingen und der mit seinen Arbeiten über den Stechlin und durch die erste Edition des Fontane-Lepel­Briefwechsels Wesentliches zur Forschung beigesteuert hat, regelrecht ein­geschossen und attackierte ihn, weil er sich der Nazi-Ideologie anbequemt hatte und in SA-Uniform in die Vorlesung kam. Charlotte Jolles, die als jüdi­sche Studentin unter den Drangsalierungen jener Jahre heftig zu leiden ge­habt hat, hatte diesen Petersen aber auch als hilfreichen Betreuer erlebt, wünschte eine ausgewogenere Darstellung und lag deshalb mit Reuter ernsthaft im Clinch. Als uns aber im Frühjahr 1978 die schockierende Nachricht von Reuters plötzlichem Tod erreichte, schrieb sie in aller intellektuellen Redlichkeit für die Fontane Blätter sogleich ihren wunderbaren, menschlich einfühlsamen Nachruf auf Reuters einzigartige Leistung und sagte:»Hans-Heinrich Reu­ter ist früh von uns gegangen, aber im Gegensatz zu seinem Meister Fontane hat er sein ›Eigentlichstes‹ früh geleistet. Dies sichert ihm seinen Ehrenplatz unter uns.« Und das gilt auch und gerade an seinem hundertsten Geburtstag.