Heft 
(2023) 116
Seite
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Fontane und der»Bruderzwist im Hause Mann« Erler 143 Im Exil in den USA Alle Bemühungen in den dreißiger Jahren waren letztlich vergebens. Hitler bricht den Krieg vom Zaun, die deutschen Emigranten müssen aus den eu­ropäischen Zufluchtsländern fliehen. Landshoff entgeht dem Zugriff der Nazi-Wehrmacht nur, weil er bei deren Einmarsch in Amsterdam am 10. Mai 1940 zufällig auf einer Dienstreise in London ist, während die SS Emanuel Querido später in Holland aufspürt und in Sobibor umbringt. Und auch in der Geschichte der Brüder Mann beginnt ein neues, nicht unbedingt erfreuliches Kapitel. Thomas Mann, der in den dreißiger Jahren mehrfach zu Lesereisen in den USA gewesen war, hatte dort ein großes Publikum, war Ehrendoktor von Harvard und mit Präsident Roosevelt per­sönlich gut bekannt. Der Boden war also bereitet, als Thomas sich in den USA niederlässt, wo er bald so etwas wie der Repräsentant des deutschen Exils wird. Von Heinrich Mann dagegen hatte man in Amerika noch gar nichts gehört. Als er am 13. Oktober 1941 mit der»Nea Hellas«, einem grie­chischen Schiff, in New York ankommt und von Thomas Mann, Hermann Kesten und Kandidja Wedekind begrüßt wird, informiert die New York Times mit der folgenden verräterischen Notiz darüber:»Der namhafte deut­sche Autor Golo Mann, der Sohn des berühmten Autors Thomas Mann, sei angekommen, und in seiner Begleitung habe sich sein Onkel Heinrich Mann befunden, der gleichfalls Schriftsteller sei.« Es sollten kummervolle Jahre für Heinrich Mann folgen, mit materiellen Nöten und Einsamkeit. Sein Buch über Churchill und England will keiner drucken, eine amerikanische Ausgabe seines großen Bekenntnisbuches Ein Zeitalter wird besichtigt kommt nicht zustande, als nach dem plötzlichen Tod Roosevelts im April 1945 die McCarthy-Ära beginnt und Bekenntnisse zur Sowjetunion nicht mehr opportun, ja gefährlich sind. In politischen Fragen gibt es zwischen den Brüdern vielfach Differen­zen. So zum Beispiel, als Thomas Mann 1943 seine Unterschrift zu einer Zustimmungsadresse zur Gründung des Nationalkomitees Freies Deutsch­land in der Sowjetunion zurückzieht. Auch über die Aufgaben der Deut­schen nach dem Kriege sind sie keineswegs einer Meinung. Heinrich Manns »Wort an Berlin« vom 9. Mai und Thomas Manns Rede»Deutschland und die Deutschen« vom 29. Mai 1945 zeigen die alten Standpunkte. Während Heinrich Mann sich voll illusorischer Hoffnungen auf die Arbeiter als die vermeintlich führende Gesellschaftsschicht der Zukunft orientiert und diese auffordert, die versäumte Revolution von 1918 nachzuholen, begnügt sich Thomas Mann mit einer feinsinnigen Analyse deutschen Wesens. Immerhin erinnert Heinrich Mann, nicht Thomas, 1948 an den 50. To­destag seines einstigen»Leibpoeten« und formuliert jene fabelhaften, gera­dezu programmatischen Sätze über den Erzähler Fontane: