144 Fontane Blätter 116 Freie Formen Der moderne Roman wurde für Deutschland erfunden, verwirklicht und auch gleich vollendet von einem Preußen, Mitglied der französischen Kolonie, Theodor Fontane. Als erster hier hat er wahrgemacht, daß ein Roman das gültige bleibende Dokument einer Gesellschaft, eines Zeitalters sein kann; daß er soziale Kenntnis gestalten und vermitteln, Leben und Gegenwart bewahren kann noch in einer sehr veränderten Zukunft, wo, sagen wir, das Berlin von einst nicht mehr besteht. Deutsche Romane des 19. Jahrhunderts sind bei der Welt nicht durchgedrungen,[...]. Aber Fontane wiegt viele auf, die fehlen oder die befremden[...]. Er war in Skepsis wie in Festigkeit, der wahre Romancier, zu seinen Tagen der einzige seines Ranges.« » Wollen Sie gelesen werden, das geht nur im Osten.« 1945 besteht das»Berlin von einst«, von dem Heinrich Mann spricht, buchstäblich nicht mehr, und als damals wieder an Bücher von Heinrich und Thomas Mann gedacht werden konnte, hatten die Siegermächte Deutschland in strikt getrennte Bereiche aufgeteilt. Und in den westlichen Besatzungszonen mehren sich die Stimmen, die mit den Emigrierten hadern und sie zu verunglimpfen suchen. Sie erinnern sich an die teilweise unsäglichen Debatten um Thomas Mann, wie sie Walter von Molo und Frank Thiess führten, die für die»innere Emigration« zu sprechen vorgeben. Fritz Landshoff hat diese Abwehrhaltung in den westlichen Bundesländern gern mit einem ganz persönlichen Erlebnis illustriert: Er bestellt in einer renommierten Münchener Konditorei eine Torte für Erika Mann in Zürich, als er aber Lieferadresse und Namen nennt, storniert der Chef wütend den Auftrag mit den Worten:»Für Vaterlandsverräter backen wir doch keine Torte.« Landshoff hat heftig darunter gelitten, dass die große Schar ›seiner‹ Autoren nach der verheerenden Barbarei der Nazizeit in Teilen Deutschands nicht willkommen war, und er zitierte oft den Satz, den sein Autor Heinrich Mann 1949 an Karl Lemke geschrieben hatte:»Wollen Sie gelesen werden, das geht nur im Osten.« Tatsächlich bemühten sich ostdeutsche Verlage, voran der im August 1945 gegründete Aufbau-Verlag, lebhaft um die in alle Welt zerstreuten Autoren. Heinrich Manns Roman Der Untertan erscheint 1946, 1947 folgt Ein Zeitalter wird besichtigt. Er erhält den ersten Nationalpreis der DDR und wird zum Präsidenten der neu etablierten Akademie der Künste berufen. Er stirbt während der Vorbereitungen für die Rückkehr, und die für ihn bereits bereitgestellte Villa in der Homeyerstraße in Pankow bezieht nun Arnold Zweig, der aus Palästina heimkehrt, von wo aus er eine materialreiche, unveröffentlichte Korrespondenz mit Landshoff geführt hatte.
Heft
(2023) 116
Seite
144
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