Fontane und der»Bruderzwist im Hause Mann« Erler 145 Und zum 80. Geburtstag von Thomas Mann gibt der Ostberliner AufbauVerlag 1955 die wegen ihrer editorischen und gestalterischen Meriten berühmt gewordene zwölfbändige Ausgabe letzter Hand heraus – nicht etwa der die Rechte verwaltende S. Fischer-Verlag in Frankfurt! Herausgeber war übrigens, in engem Kontakt mit dem Autor, Hans Mayer in Leipzig. Der Briefwechsel der Verlagsleitung mit Thomas Mann hat anrührende Aspekte: Der Verlag bittet um Abdruckrechte, weil Manns Werke für die Volksbildung in der DDR ungeheuer wichtig seien, aber Tommy beharrt darauf, dafür auch ein anständiges Honorar in konvertierbarer Währung zu empfangen. An diesem Punkt der Valuta-Zahlung knirschte es auch später noch, sodass man in einem Fall sogar zur Naturalwirtschaft zurück- oder überging: Die Manns erhielten statt Honorar einen teuren, in Berlin angefertigten Pelzmantel für Katia. Auch Heinrich Mann, wegen seiner Aktivitäten im Exil und wegen seines Romans Der Untertan(Pflichtlektüre an DDR-Schulen) hochgeschätzt, bekommt bei Aufbau(herausgegeben von der Akademie der Künste, Redaktion Sigrid Anger) seine große Werkausgabe. Ich hatte das Glück und das Vergnügen, den Roman Die kleine Stadt und vor allem die Autobiographie Ein Zeitalter wird besichtigt(1973) erstmals kommentiert herausgeben zu dürfen. Heinrich Mann wird, nach meinen Beobachtungen, von älteren Lesern der ehemaligen DDR noch heute bei Weitem favorisiert, während der Scharfrichter Marcel Reich-Ranicki mit seinem Verdikt über Heinrich Mann in der Frankfurter Allgemeinen von 1988 eine fatale Nachhaltigkeit bei westdeutschen Lesern bewirkt zu haben scheint. Zu der relativen Popularität Heinrichs»im Osten« trug auf seine Weise auch der zeitweilige Aufbau-Eigentümer Bernd F. Lunkewitz bei, der den Aufbau-Verlag einige Jahre lang als »Fontane-Verlag« firmieren ließ und der in der Fasanenstraße 9, wohl sogar in der einstigen Wohnung Heinrich Manns, seinen Berliner Wohnsitz nahm! Darf ich, trotz fortgeschrittener Zeit und beträchtlicher Wärme, noch eine Anekdote aus dem Hause Mann anschließen? Ich hatte, nach dem Fall der Mauer, eine Verabredung mit Professor Golo Mann. Ich empfing ihn im traditionsreichen Haus des Aufbau-Verlages in der Französischen Straße 32, wo auf einem geräumigen Flur der zweiten Etage auf einer hölzernen Stele der fabelhaft porträtähnliche Kopf Thomas Manns aus der Werkstatt von Gustav Seitz stand. Ich holte Golo am Aufzug ab, öffnete die Tür, wonach er plötzlich seinem Vater gegenüberstand und viele Sekunden brauchte, bis er mir die Hand reichte und ich ihn begrüßen konnte. Waren all die demütigenden Erfahrungen mit seinem alten Herrn, von denen uns Landshoff so oft erzählt hatte, plötzlich wieder gegenwärtig oder dachte er daran, dass in diesem Haus jene legendäre Werkausgabe seines Vaters entstanden war?
Heft
(2023) 116
Seite
145
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