Heft 
(2023) 116
Seite
146
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146 Fontane Blätter 116 Freie Formen Ich weiß es nicht, ich erinnere mich aber, dass wir vier amüsante Plauder­stunden hatten und Golo Mann, unter anderem, auf jenes im Exil verschol­lene Bilderbuch für artige Kinder aus der Feder von Heinrich und Thomas Mann für die jüngeren Geschwister zu sprechen kam, aus dem er plötzlich zu zitieren begann. Ich habe im Nachhinein wenigstens zwei Strophen auf­geschrieben und kann diese heitere Einlage gut gebrauchen, weil ich Sie noch mit dem letzten Akt der»Tragödie der Brüderlichkeit« im Hause Mann traktieren will: Das Gespenst Baron Tobias ging zu Bette, Doch plötzlich wurd er leichenfahl, Er lauschte bang, er hörte Schrette Im angelegnen Ahnensaal. Er ging, denn er war keine Memme, Und lang und weißlich stand es da, Und sprach und sprach mit hohler Stemme: Huh! Ich bin deine Großmama! Ein letztes Mal zurück zum familieninternen Streit der Brüder Der lebenslange Dissens zwischen Heinrich und Thomas Mann setzt sich im amerikanischen Exil in der Grauzone unterschiedlicher Vorstellungen von Moral und Bürgerlichkeit auf fast makabre Weise fort. Brecht, der mit Thomas Mann bekanntlich nicht viel im Sinn hatte, no­tiert 1941 in seinem Arbeitsjournal sarkastisch: Heinrich Mann»geht all­wöchentlich stempeln, holt sich 18 dollar 50 arbeitslosenunterstützung ab []. er ist über siebzig. sein bruder thomas baut sich eben eine große Villa.« Und zwei Jahre später heißt es in Brechts Notaten: heinrich mann hat nicht das geld, einen arzt zu rufen, und sein herz ist verbraucht. sein bruder, mit einem haus, das er sich baute, vier bis fünf Autos, läßt ihn buchstäblich hungern. nelly[Heinrich Manns Frau, G. E.], erst 45-jährig, vulgär und von einer groben hübschheit, arbeitet in einer wäscherei, trinkt. die zwei sitzen in einer sehr kleinen, stickigen villa ohne garten in hollywood mit billigen Möbeln und manns wenigen geretteten büchern. (Ich habe das wirklich sehr bescheidene, ja ärmliche Anwesen Anfang der neunziger Jahre des vorigen Jahrhunderts in L. A. gesehen.) Brecht steuert mit seiner Beobachtung ein letztes Reizwort für unser Thema bei: Nelly, Heinrich Manns Lebensgefährtin, das dunkelrote Tuch für die Thomas