Heft 
(2024) 117
Seite
48
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48 Fontane Blätter 117 Literaturgeschichtliches, Interpretationen, Kontexte ihres»unordentlichen Kostüm[s]« halber an ihre Stellung als junge Dame mit Anstand und Sitte gemahnt. Seitens der Erwachsenen drohe Ilse Spott und Verlachen. Die Aufforderung, sich zu waschen und umzuziehen, weist Ilse»trotzig« zurück(T 2), woraufhin die Eltern sie in ihr Zimmer schicken. Mit dem»ungebundenen« und lustigen Leben, mit dem»trotzige[n] Wider­stande« des»unbändigen Kind[es]« gegen die Eltern und Gouvernanten, die sich Ilses»Wille[n]« unterwarfen, anstatt ihr Unterricht zu erteilen, soll nunmehr Schluss sein(T 8). Die Nachbarn echauffieren sich über das»Tem­perament« des»wilde[n] Mädchen[s]« und bedauern, dass es»kein Knabe« geworden sei(T 7). Während der Vater raucht und die Mutter mit einer Handarbeit beschäftigt ist, rät der Prediger den Eltern, Ilse ihrer»wider­spenstigen Natur« wegen, die sich bei aller»Herzensgüte« nicht wegerzie­hen lasse, in eine Pension zu geben(T 9). Als»auf der Grenze zwischen Kind und Jungfrau« stehend, sei es Zeit, Ilses»unbändige Natur zu zügeln«, da­mit sie nicht eines Tages als»unweiblich« gelten müsse(T 10). Weil sich Ilse aber in ihrem schmutzigen Kleid»so luftig so leicht!« fühlt und es viel besser geeignet ist,»lustige Sprünge auszuführen«, nimmt sie es mit in die Pension und kann sich auch durch gutes Zureden ihrer Zimmergenossin Nellie zunächst nicht davon trennen(T 64). Zwar gewöhnt sie sich allmählich an die Kittelschürze, die alle anderen Schülerinnen mit Freude tragen und die damit zum Zeichen erfolgreicher Domestizierung zur Hausfrau schlechthin wird, doch bewahrt sie ihr altes Mädchenkostüm weiter auf und holt es später für eine nächtliche Kletterpartie und einen Theaterauftritt wieder aus dem Schrank. Ebenso schwer, wie es Ilse fällt, das luftige Kinderkleid gegen die enge, gezierte Anstaltskleidung einzutau­schen, so schwer fällt es dem an»Freiheit gewöhnten Wesen« auch, unter dem»Schulzwang« die»Wildheit« und»Untugend« abzustreifen(T 71). Dennoch leidet das Mädchen im Internat anfangs unter Heimweh, doch ihr Wunsch, nach Hause zurückzukehren, wird von den Erzieherinnen wie auch den Eltern mit Verweis auf die Notwendigkeit der Erziehung zurück­gewiesen. Ilses rebellische Phase kulminiert an einem schwülen Augusttag, an dem die Schülerinnen genötigt werden, im Zimmer zu sitzen und Strümpfe zu stricken. Ilse»glühte wie eine Rose bei der sauren Arbeit«(T 72) und wirft der Vorsteherin schließlich wutentbrannt das Strickzeug vor die Füße. Aber nicht der Vorsteherin, einer»unnahbaren, völlig asexuell und steril wirkenden, strengen Technokratin«, 10 die selbst vom Erzähler als allzu streng ausgewiesen wird, sondern den anderen Pensionärinnen gelingt es, die aufmüpfige Freundin zur ›Vernunft‹ zu bringen: Als die anderen Mäd­chen Ilse ob ihres nunmehr schmutzigen Strickzeugs verspotten, bäumt sich Ilses»heißes Blut, ihre unbändige Natur« gegen diese»öffentliche Be­schämung« ein letztes Mal auf(T 74). Ihr»leidenschaftliches Gemüt« ent­brennt, der»wilde Trotz[steht] in lichterlohen Flammen«(ebd.), um dann