Heft 
(2024) 117
Seite
49
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Der Trotzkopf (1885) und Effi Briest (1895) Wege 49 der beschämenden Einsicht zu weichen, dass sie einen»bösen Fehler« ge­macht hat und von nun an gehorsamer sein will. Erpresst wird diese Bekeh­rung auch von der gütigen und mitleidvollen Ermahnung ihrer sanftmüti­gen Lieblingserzieherin, die das verblendete Kind»auf einen andern Weg [bringt]«(T 75). Ilse solle sich»beherrschen«, ihr»trotziges Ich zähmen«, sie habe sich lächerlich gemacht, aber ihre Freundinnen hätten sie dennoch weiterhin lieb:»Wie heiß du bist, böser Trotzkopf«(T 78); allzu»stürmisch« verhalte sich der»Brausekopf«(T 90). Die in den Augen der wilhelminischen Gesellschaft erschreckend kna­benhafte Natur des jungen»Wildfangs«(T 136) kommt im Roman mehrfach zur Sprache und wird von allen Seiten gerügt. Als Ilse, noch im Elternhaus, anstatt Schulaufgaben zu erledigen bei der Heuernte hilft, wird dieses Ver­halten vom Vater als»wenig weiblich« bezeichnet; seine Tochter gleiche»ei­nem wilden Buben. Wie ein solcher saß sie auf dem Pferde und hatte die Füße an beiden Seiten hängen«(T 11). Beim Reiten gewähre ihr kurzes blau­es Kleid zudem einen Blick auf ihre Stiefel und bunten Strümpfe, was»wahr­lich kein schöner Anblick« sei(ebd.). Im Pensionat befähigt diese beschä­mende Knabenhaftigkeit Ilse allerdings zu einer»tollkühnen Kletterpartie«: »Wie ein Bube« erklimmt sie einen Apfelbaum, was sie, laut Erzählinstanz, im elterlichen Garten gelernt habe, wo ihr»jede Furcht vor Gefahr« ab­handengekommen sei(T 108). Knabenhaftigkeit, schmuddelige und unordentliche Kleidung, Trotz, Wildheit, Hitzköpfigkeit sind die dominierenden äußeren und charakterli­chen Attribute des Trotzkopfs in Rhodens Roman. Die Ähnlichkeiten zwi­schen den ersten Kapiteln von Der Trotzkopf und Effi Briest das Familien­setting(eine jugendliche Tochter im Umgang mit beiden Eltern), der Auftritt einer erhitzten Protagonistin, die einem knabenhaften Mädchentypus ent­spricht, die modischen Details springen unmittelbar ins Auge. Sprachlich und erzählerisch kann Rhodens Roman mit der Komplexität von Fontanes Meisterwerk nicht mithalten; so wirkt der Trotzkopf neben Effi Briest wie ein grober Holzschnitt. Allerdings lässt gerade die Schlichtheit des Bestsel­lers die Grundzüge des Trotzkopf-Modells bei Fontane im Vergleich umso deutlicher hervortreten: Der ausführlichen Beschreibung des Herrenhauses der Briests im ers­ten Kapitel folgt bei Fontane eine ähnliche Szene wie bei Rhoden . Effi und ihre Mutter sitzen an einem heißen Sommertag bei einer Handarbeit, bis das gelangweilte braunäugige Mädchen diese Tätigkeit zugunsten turneri­scher Übungen, einem»Kursus der Heil- und Zimmergymnastik«, abbricht, um kurz darauf mit ihren Freundinnen zum Spielen in den Garten zu gehen (E 6). Bei ihrer Heimkehr steht Innstettens erster Besuch bevor. Auf den ersten Seiten wird Effi als mit»Übermut und Grazie«,»natürli­cher Klugheit und viel Lebenslust und Herzensgüte« ausgestattet beschrie­ben(E 7). Im Unterschied zum Trotzkopf lässt Luise Briest ihre Tochter be-