Heft 
(2024) 117
Seite
50
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50 Fontane Blätter 117 Literaturgeschichtliches, Interpretationen, Kontexte wusst das als»Hänger« und»Jungenskittel« bezeichnete Matrosenkostüm anbehalten, weil es sich für Effi , die»Tochter der Luft« und»Kunstreiterin«, gut eigne(E 7). Effi wundert sich, dass sie»noch wieder in kurze Kleider« gesteckt wird, kommt sich»wieder wie ein Backfisch« vor, und fragt, war­um die Mama ihr keine»Staatskleider« kauft»warum machst du keine Dame aus mir?«(E 7). Auf die Gegenfrage Luise Briests, ob Effi das denn wolle, verneint das Mädchen und küsst sie»stürmisch«,»wild« und»leiden­schaftlich«(E 7). Das Matrosenkostüm trägt Effi beim Spielen im Garten, wo es beim Kirschenpflücken»zerknittert und zerknautscht« wird.»[D]as Leinenzeug macht immer so viele Falten[] du siehst aus wie ein Schiffs­junge«(E 14), bemerkt Hulda. Dies wiederum erinnert Effi daran, dass der Vater ihr die Errichtung eines Mastbaums für waghalsige Kletterpartien versprochen hatte(E 15). Wie Effi ist auch die Mutter der Auffassung, dass Innstetten, der sich angekündigt hat, das Matrosenkostüm eigentlich gefal­len müsse. Mit Blick auf das»jugendlich reizende Geschöpf, das noch erhitzt von der Aufregung des Spiels, wie das Bild frischesten Lebens vor ihr stand«, entscheidet Luise Briest, dass die Tochter dem Landrat»unvorberei­tet« und»so gar nicht zurecht gemacht« gegenübertreten solle(E 17). 11 ­Innstetten wird als»sehr männlich« angekündigt, was die Hauptsache sei, denn der Vater bestehe auf»Weiber weiblich, Männer männlich«(E 9). Anders als der Trotzkopf Ilse kann Effi ihre in der Eingangsszene als natürlich, erotisch attraktiv und gefährlich ausgewiesene Wildheit be­kanntlich nicht ablegen und lebt sie später in der Affäre mit Crampas aus. Gesellschaftlich konventionelle Vorstellungen weiblicher Tugendhaftigkeit, wie sie von den Eltern Macket und den Pensionserzieherinnen vertreten werden, legt Fontane in Effi Briest dem Landadel von Kessin in den Mund. Zucht und Ordnung fordert Sidonie von Grasenapp und mokiert sich dabei über den kokettierenden Backfisch Cora(E 174, auch 180 f.). Die fromme und wohlmeinende Frau von Padden mahnt religiöses Ringen»mit dem natürli­chen Menschen« an(E 194). Dem biederen Innstetten gelingt es nicht, Effis »stürmisches« Wesen(E 226) zu zügeln und ihre Leidenschaften zu bändi­gen. Wie der knabenhafte Trotzkopf Ilse sich bei ihren Reitausflügen von den erzieherischen Einflüssen der Eltern zu befreien versucht, entdeckt auch Effi die Ausritte mit Crampas am Strand von Kessin als temporären Fluchtweg aus ihrer langweiligen und unglücklichen Ehe beziehungsweise als Vehikel, sich Innstettens Erziehungsmaßnahmen zu entziehen, denn dieser ist ein»geborene[r] Pädagog«(E 156):»Effi war selig, am Strande hinjagen zu können, jetzt[in stürmischen Herbsttagen, S.W.] wo ›Damen­bad‹ und ›Herrenbad‹ keine scheidenden Schreckensworte mehr waren« (E 149). Mit ihrem Liebhaber, in der Natur, lebt sie ihre ungezähmte kna­benhafte Doppelnatur aus. Diese Eigenschaft überträgt sich auch auf die Tochter Annie, über die Innstetten sagt, sie sei»wild und ausgelassen beim Spielen«(E 323),»wild« und ein»Wirbelwind« das habe sie»von der