Heft 
(2024) 117
Seite
57
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Der Trotzkopf (1885) und Effi Briest (1895) Wege 57 staltet sind und moraldidaktisch instrumentalisiert werden. Auf dem Höhe­punkt ihres Ungehorsams muss sich Ilse von Fräulein Güssow die»traurige Geschichte[ihrer] Jugendfreundin« Lucy anhören(T 82). Es handelt sich um eine Warngeschichte, derer sich Fräulein Güssow bedient, um ihren Schütz­ling abzuschrecken, indem sie ihr die tragischen Folgen ihres weltfremden Hochmuts und Trotzes vor Augen führt: Wie Ilse habe es auch jene Lucy geliebt, an heißen Sommertagen allein in den Wald zu gehen, diesen»bis an die Spitze des Berges« zu durchstreifen und sich ein verstecktes Plätzchen zu suchen,»so im weichen, schwellenden Moose zu liegen, ein gutes Buch zu lesen und darüber die Welt zu vergessen«(T 83). Eines Tages sei Lucy von einem Mann überrascht worden, der den Anblick des Werther lesenden Mädchens»hübsch« fand(»Dacht ich es doch! Natürlich verbotene Lektüre, die in der Waldeinsamkeit verschlungen wird« T 54). 23 Später verlobt sich Lucy mit diesem Mann, der sich als schöner, guter und kluger Kunstmaler entpuppt, doch als er sie fragt, ob sie ihn auch dann noch heiraten würde, wenn er sein Vermögen verlöre, verneint Lucy, weil sie»am äußeren hing« (T 86). Ein Leben in Not und Armut kann sie sich nicht vorstellen; sie wolle lieber gar nicht heiraten, als sich»einem anderen Willen zu beugen«(T 89). Daraufhin verarmt Lucy natürlich prompt selbst und sieht sich fortan ge­zwungen, ihr Geld als Lehrerin zu verdienen Buße tun im Beruf, als al­leinstehende Frau Geld verdienen als Strafe. Lucy habe, schließt Fräulein Güssow ihre Geschichte, ihr»Lebensglück im trotzigen Übermut geopfert« (T 93). Ilse lässt sich die Geschichte tatsächlich eine Lehre sein und ent­schuldigt sich bei der Vorsteherin für ihren»Ungehorsam«(T 95). Am Ende stellt sich heraus, dass es sich bei Lucy um Fräulein Güssow selbst handelt, die dann durch einen Zufall, ebenso geläutert wie Ilse, in die Arme des ver­loren geglaubten Malers zurückfindet. Rhodens Konstruktion lässt Frauen nur die Wahl zwischen glücklicher Ehe und einsamer Brotarbeit, was einem sozialen Abstieg zur heimatlosen Gouvernante und Metamorphose zur hässlichen alten Jungfer gleichkommt. Beide Frauen entscheiden sich rol­len- und normkonform gegen einen Beruf und für die Ehe, die der Roman als einzigen lebenswerten Weg ins Glück ausweist. Die Ausgangslage scheint in Effi Briest unverändert: Aus Ehrgeiz und Standesbewusstsein weist Effi, die ebenfalls am Äußeren hängt, ihren Vetter Dagobert zurück und hofft stattdessen auf eine glückliche Ehe mit dem Karrieristen Innstet­ten. Doch im Unterschied zu Rhoden beschenkt der Realist seine Heldin nicht mit einem Ende im Zeichen des Sieges der Liebe. Auch die Theateraufführungen der Pensionärinnen erinnern in ihrer spiegelbildlichen Funktion an vergleichbare metapoetische Schauspielsze­nen in Effi Briest, Stine und Graf Petöfy. Zwei Stücke werden aufgeführt ein»französisches Lustspiel« mit»Flattersinn«(T 222) unter Leitung von Fräulein Güssow, das die Gunst des Publikums gewinnt, und ein englisches Stück unter Leitung der moralinsauren Miss Lead, das als langweilig