Heft 
(2024) 117
Seite
62
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62 Fontane Blätter 117 Literaturgeschichtliches, Interpretationen, Kontexte nur vorgibt zu lieben. Gewissermaßen zur Strafe stirbt Floras Gatte; dieser Schick­salsschlag lässt sie zur reuigen, verant­wortungsvollen Witwe heranreifen. Ilse indessen gelangt am Beispiel Floras zu der Einsicht, dass ihr Lebensglück nur darin bestehen kann, ihrem Leo eine gefügige Ehefrau zu werden. Zu Beginn von Trotz­kopfs Brautzeit hatte Ilse ihren Verlobten zunächst trotzköpfig verlassen, weil er ihr für die Ehezeit langweilige Besuche bei alten Damen in der Provinz in Aussicht gestellt hatte. Diese Kaffeekränzchen hält Leo, dieser»Traumschwiegersohn für Töchter und deren Mütter im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts«, aufgrund seiner gesellschaftlichen Stellung als Beamter für unabdingbar(Barth 1997, wie Anm. 2, S. 271). In diesem Punkt ähnelt Trotzkopfs Brautzeit den Gepflogenheiten in Effi Briest : Auch Effi hat keine Lust auf Pflichtbesuche beim örtlichen Adel von Kessin, aber Innstetten verlangt ihr diese im Namen seiner gesellschaftlichen Stellung ab. Die aufmüpfige Ilse absen­tiert sich vorübergehend von Leo und sucht Zuflucht bei der frisch verheirateten Nellie, wo sie auch Einblick in die mehr oder weniger vorbildhaften Ehen der anderen Pensionsfreundinnen(Flora, Rosa, Orla) erhält und ihre Auflehnung gegen die Pflichtbesuche als Charakter­fehler zu begreifen beginnt. Am Ende unterwirft sie sich Leos Forderungen und kehrt reumütig in seine Arme zurück. Damit wiederholt und variiert Wildhagen mit Trotzkopfs Brautzeit den Erziehungs­plot des Erstlings ihrer Mutter Auszug und Heimkehr des Trotzkopfes, zeitlich begrenzt auf die Verlobungsphase, an dessen Ende die märchenhafte Hochzeit steht. Der Weg zur Kirche ist mit Rosen bestreut. 18 Effi stellt sich den Kuss mit Hulda nur vor. Als gebürtige Engländerin spricht Nellie gebrochenes Deutsch. 19 Vgl. hierzu ausführlicher Sophia Wege: Metaphysischer Realismus . Arthur Schopenhauers Willensphilosophie im Erzählwerk Theodor Fontanes. Boston / Berlin 2023(Schriften der Theodor Fontane Gesellschaft, Bd. 15). 20 Gisela Wilkending: Man sollte den Trotzkopf noch einmal lesen . In: Grenz/ Wilkending 1997, wie Anm. 2, S. 123–139, hier S. 126. Die ödipalen Züge von Ilses Beziehung zum Vater sind nicht von der Hand zu weisen, allerdings kann man Wilkendings freudianischer Deutung nicht in allen Einzelheiten folgen. 21 Die Zeichnung der Nebenfiguren wirkt insgesamt typisiert, aber nicht farblos, sondern unterhaltsam und teils gewitzt(so auch Barth, wie Anm. 2, S. 288). 22 Im Medaillon verbirgt sich ein Miniaturbild des Gemäldes der Ehebre­cherin von Tintoretto. 23 Der Werther stand im Verdacht, beim weiblichen Publikum eine schändliche Lesewut zu entfachen. Das Gefühlspa­thos des empfindsamen Romans widersprach den nach wie vor gültigen Vorstellungen einer moralisch-sittlichen Vernunfterziehung auch für Mädchen; vgl. hierzu Dagmar Grenz : Von der Nützlichkeit und der Schädlichkeit des Lesens. Lektüreempfehlungen in der Mädchenlite­ratur des 18. Jahrhunderts . In: Grenz/ Wilkending, wie Anm. 2, S. 15–35. 24 Die überraschend positiv gezeichnete »Emanzipierte «(T 158) taucht in Trotzkopfs Brautzeit (1893) wieder auf: Orla möchte Medizin studieren und Doktorin werden, heiratet dann aber erstmal einen Arzt, der(immerhin) anbietet, ihr beim Examen behilflich zu sein(vgl. hierzu auch Wilkending, wie Anm. 20, S. 135). 25 Und zwar insofern der Roman einer »größere[n] Liberalität gegenüber dem Mädchen, das noch nicht angepasst ist«,