Heft 
(2024) 117
Seite
63
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Der Trotzkopf (1885) und Effi Briest (1895) Wege 63 mehr Raum gewähre. Trotz ihrer ›unweibli­chen‹ Eigenschaften werde sie nicht als unsympathisch dargestellt. Dies stünde im Gegensatz zu früherer Mädchenliteratur, wo»Mädchen mit solchen Eigenschaften moralisch aufs Höchste verurteilt wurden.«(Grenz, wie Anm. 2, S. 116). Insbesondere die Erzähltechnik persona­les Erzählen nah an der Perspektive der Hauptfigur, wenn auch mit kommentieren­den Unterbrechungen durch eine auktoriale Erzählstimme trage zur Identifikation der Leserinnen mit der Hauptfigur bei. Diese Technik sei im Rahmen der Mädchenliteratur der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts eine Novität (Barth, wie Anm. 2, S. 290). Bereits Dahrendorf sieht in der konsequenten Subjektivierung eine Ursache für den Erfolg des Romans(wie Anm. 2, S. 127). Auch hinsichtlich dieser Erzählperspektive ähnelt Effi Briest Rhodens Roman. 26 Grenz, wie Anm. 2, S. 119. Grenz verweist auf Fragmente der Menschbil­dung (1805) und Briefe an Psychidion, oder: Ueber weibliche Erziehung (1819). Der Frage, inwieweit Arndts Schriften auch Fontanes Verständnis von Natürlich­keit erhellen könnten, werde ich in einer gesonderten Studie nachgehen. Bereits Arndt verwendet den Vogel als Symbol für die erotische Komponente der Natürlichkeit des Weiblichen, die allerdings nur dem Ehemann zugedacht sein darf(Wilkending, wie Anm. 20, S. 203). 27 Barth resümiert das Schicksal der höheren Töchter:»Wenig Chance auf eine Versorgungsehe, noch weniger Chancen auf eine Liebesehe, Ablehnung der Konvenienzehe, dagegen die Aussicht auf ein Dasein als ›alte Jungfer‹ oder um dem zu entgehen die Aufnahme einer Ausbildung bzw. Erwerbstätigkeit mit der Konsequenz, auch ökonomisch Selbstver­antwortung übernehmen zu müssen.[] Der Mythos Ilse bestätigt die bürgerlichen Idealvorstellungen von Liebe und Ehe. Er muß die Leserinnen zur Flucht vor der eigenen Wirklichkeit geradezu eingeladen haben.«(Barth, wie Anm. 2, S. 278) 28 Für Barths Einschätzung, wonach Ilses Zähmung»nur Oberfläche« bleibt und die Protagonistin sich nicht grund­sätzlich wandle(wie Anm. 2, S. 286), sehe ich keine Belege im Text. Dass Ilse ihre Naschhaftigkeit nicht ablegt, lässt nicht notwendig darauf schließen, dass sie auch im Bereich der Sexualität ihre ›sündhafte‹ Natur auslebt. Vielmehr lässt Rhoden ihre Heldin durch diese harmlo­sen Schwächen nur menschlicher und nahbarer erscheinen, was das Identifikati­onspotenzial steigern dürfte. Die inneren Hürden, die Ilse unablässig nehmen soll, dienen der Autorin dazu, das Ideal weiblicher Anpassung auf der Plot-Ebene dramaturgisch spannend zu inszenieren und auf diese Weise in einem klassischen ›Bewährungs- und Überwindungsnarrativ‹ zu plausibilisieren, ja pädagogisch zu zementieren in etwa so, wie Jesus einer Reihe von Versuchungen ausgesetzt wird, um seine Heiligkeit umso glaubwürdiger unter Beweis zu stellen. 29 Grenz, wie Anm. 2, S. 127 sowie dies.: »Das eine sein und das andere auch sein…«. Über die Widersprüchlichkeit des Frauenbildes am Beispiel der Mädchenli­teratur «. In: Grenz/Wilkending, wie Anm. 2, S. 197–251, hier S. 213. Dahrendorf stellt den Roman zwar in die Tradition bürgerlichen Erzählens, verortet aber die Familie Macket im»Milieu des Landadels und der Gutsbesitzer oder vornehmer Ruheständler.«(wie Anm. 2, S. 126). 30 Ebd., S. 213. 31 Ebd. 32 Barth 1997, wie Anm. 2, S. 271.