Heft 
(2024) 117
Seite
109
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Unbekanntes von Josef Ettlinger  Rasch 109 keit der Erzählung, die helle, warme Beleuchtung der Personen. Ohne jede Exaltation, ohne Seelenconflict wird der Bund geschlossen. Effi denkt gar nicht daran, sich dem Wunsche der Aeltern zu sträuben und den angesehe­nen Freier aus überspannter Romantik abzulehnen, weil sie ihn fast noch nicht kennt oder etwa schon einem Anderen ihr Herz geschenkt hat; sie weiß auch, daß einst zwischen ihrer Mutter und Geert Wünsche und Hoff­nungen sich angesponnen haben: aber ihr sage er zu und sie freut sich noch heimlich, daß sie nun früher eine Frau wird, als ihre blonde Freundin ­Hulda Niemeyer, die Tochter des Pastors, der die rathenower Husaren auf Kränz­chen und Landpartien so heftig die Cour machen. Der erste Winter in Kessin, das als kleiner Badeort nur im Sommer et­was bewegteres Leben hat, verstreicht ereignißlos und langsam. Innstetten,­eine ruhige, correcte Berufsnatur mit gepflegten Manieren und gehegten Empfindungen, bleibt immer gleichmäßig freundlich und aufmerksam ge­gen seine»kleine Effi«. Man macht und empfängt Besuche von und bei den Gutsnachbarn der Umgegend. Dann und wann fährt der Landrath nach Varzin hinüber zum Besuche des Fürsten , der große Stücke auf ihn hält, und dann ängstigt sich wohl die vereinsamte Effi in dem alten Landraths­hause, wo dem Sagen der Leute nach ein einst in Kessin verstorbener Chi­nese nächtlicher Weile umgehen soll. Ihre einzigen Freunde sind Rollo, der Neufundländer, und Gießhübler, der verwachsene Apotheker mit den schöngeistigen Neigungen und der Vorliebe für altfränkische Eleganz, der seine verehrte junge Freundin unermüdlich mit Büchern und Journalen und mit Blumen aus seinem Treibhaus versorgt. So verrinnt ohne Störung und Erregung ein Monat nach dem andern, bis eines Tages in Frau Effis Schlafzimmer eine Wiege gestellt wird und neues Leben die sonst so stillen Räume des Hauses erfüllt. Diese vordere Hälfte des Buches scheint beim ersten Lesen etwas allzu breit und in ihrer gleichmäßigen Ereignißlosigkeit fast eintönig. Aber hat man dann den starken Band zu Ende, so erkennt man erst, wie unerläßlich nöthig diese in ihren Umrissen scheinbar zerfließende Vorgeschichte für die künstlerischen Zwecke des Ganzen ist, wie man sich nur dadurch erst in die ganze Umgebung, Lebensweise und Gemüthsstim­mung der jungen Frau so fest mit einlebt, daß man später ihre Handlungs­weise und die Wendung ihres Geschicks begreift und nachfühlt auch ohne wortreiche psychologische Analyse. Denn darin liegt der fundamentale Un­terschied zwischen Fontanes Technik und der des modernen, speciell des französischen Romans, der in Flaubert seinen Stammvater hat, daß er nicht, wie dieser, seine Heldin gleichsam transparent macht und so von innen he­raus erleuchtet, sondern alles natürliche Licht n u r von außen auf sie fallen läßt und es dennoch erreicht, daß ihr innerstes Empfindungsleben sich dem Leser entschleiert, wofern er mit dem Herzen, nicht blos mit dem Kopfe liest.