Heft 
(2024) 117
Seite
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140 Fontane Blätter 117 Rezensionen Roche , beschreibt 1783 darin ihr Zimmer und publiziert 1799 ein Buch mit dem Titel Mein Schreibetisch. Obwohl sie als etablierte Berufsschriftstelle­rin eine Ausnahmefigur in ihrer Zeit ist, ist ihr Arbeitszimmer keineswegs ein individuelles Refugium, das allein ihrer Produktivität dient: Am»grü­nen Tisch« wird gemeinsam gefrühstückt; erst wenn die anderen Familien­mitglieder ihrer Wege gegangen sind, wird er zu Sophies»Schreibetisch« so lange, bis ein Mann das Zimmer betritt. Dann nämlich wechselt sie rasch wieder von der Feder zur Nadel, vom Schreiben zur»weiblichen Handar­beit«. Mit ähnlich widersprüchlichen Anforderungen an ihre Räumlichkei­ten kämpften aber auch die männlichen Autoren der Epoche: Die Darstel­lung von Wielands Weimarer Arbeitszimmer(Abb. S. 67) folgt dem an Voltaire orientierten Ideal des Virtuoso, dessen Lebenspraxis von Vernunft, Bildung und gutem Geschmack geleitet wird. Tatsächlich hatte Wieland ei­nen beschwerlichen Arbeitsalltag inmitten eines turbulenten Familienle­bens, was sich mit dem Umzug ins Gut Oßmannstedt , das er nach horazi­schem Vorbild sein»Osmantinum « nannte, nur teilweise besserte. Mitten im Familienalltag arbeitete auch Herder an einem Stehpult, dem zeittypischen »Schreibmöbel der Gelehrten und Intellektuellen«(S. 74). Er hatte mehrere Arbeitsplätze in der variabel genutzten Wohnung, die Bibliothek verteilte sich auf verschiedene Räume und Bücherstapel dienten gern auch als Sitzer­höhungen für die kleineren Kinder im Vordergrund stand Funktionalität. Dieser Grundsatz gilt auch für Goethe, auch wenn er im Lauf seines Le­bens ganz unterschiedliche»Szenarien des Schreibens«(S. 78) als Rahmen für seine Arbeit arrangierte. Bohèmehaft muten sein Giebelzimmer im Frankfurter Elternhaus und mehr noch die WG mit Tischbein in Rom an, in der die Grenzen durchlässig waren und Schreib- und Zeichenmaterialien gemeinschaftlich genutzt wurden. Das Gartenhaus in Weimar , zehn Jahre lang Goethes Hauptwohnung, folgt mit Stehpult und Sitzbock dem»Para­digma der Einfachheit«(S. 86), das auch im Haus am Frauenplan Goethes Privatsphäre prägte, im Gegensatz zu den Wohn- und Repräsentationsräu­men. Weder in seiner»Hauscanzley«(S. 92), d. h. seinem Arbeitszimmer, noch in der»Registratur«, dem Archiv, machte er einen Unterschied zwi­schen dienstlicher Tätigkeit, wissenschaftlichem Studium und literarischer Produktion. Schlichtheit, Konzentration auf das Wesentliche und Effizienz der Abläufe kennzeichnen seine Arbeitsumgebung von Goethe verstan­den als Ausdruck seiner kreativen Freiheit. Dazu passt auch, dass er die zu seiner Zeit beliebten klassizistischen Schreibtische der Manufaktur David Roentgen , Zylinderbureaux mit einer Vielzahl verborgener Fächer, im Wil­ helm Meister als Chiffre für den Roman und das Erzählen überhaupt ver­wendete, einen Roentgen -Schreibtisch für Charlotte von Stein anfertigen ließ und sich nach der Revolution für den aus Frankreich exilierten Roent­ gen einsetzte, selbst aber niemals ein solches Möbel benutzte. Stattdessen