Heft 
(2024) 118
Seite
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Emilie Fontanes autobiographische Novelle  Möller 11 sie durch das Geschrei der Hauskinder zuerst in den Hof gelockt und wie erschrack sie [6] als sie ihr Pflegekind auf einem Fensterbrett im ersten Stock sitzen sah und die Beine gemüthlich heraus hängen sah; die schwache Frau hatte Geistesgegenwart genug, leise hinauf zu eilen und das Kind schnell rück­wärts in das Zimmer zu ziehen. Frau K. litt an einer schmerzhaften, unheil­baren Krankheit, der durch einen großen Schrecken ein schnelles Ende gemacht wurde. Sie wohnten in der Burgstr. 17 in der zweiten Etage. Eines Nachts erwacht die Kleine von dem Ruf: Feuer! sie schreit auf da sie die Au­gen aufschlägt, denn ihr Blick trifft die Feuerhelle in dem kleinen Hofe. Va­ter und Mutter springen aus den Betten, das Nöthigste wird zusammenge­rafft, sie wollen rasch zur Treppe herunter aber Vorder= und Hintertreppe brennen bereits. Wie die Eltern und die andren Bewohner des Hauses sich retteten, war dem Kinde entgangen, sie fühlte nur sich emporgehoben, von unbekannter Hand eine Treppe oder Leiter hinunter getragen und kam erst wieder zu sich, als sie bei fremden, freundlichen Leuten in einem wohnli­chen Zimmer saß. Man hatte sie in die Portierwohnung der benachbarten Kriegsschule 18 gebracht, wo ihr am andern Tage der junge Officier gezeigt wurde, der sie, mit Hülfe der Rettungsleiter gerettet hatte. Dieser schreck­liche Vorfall wirkte jahrelang auf die Nerven des Mädchens nach und schon noch als sie erwachsen war, überfiel sie ein Zittern wenn sie Feuerlärm ver­nahm. Die arme Frau K. erholte sich nach diesem Ereigniß nicht wieder. Sie war eine fromme, Gott ergebene Frau und oft saß jetzt die kleine Emilie an ihren Bett und horchte [7] aufmerksam den schönen, biblichen Erzählungen zu, und lauschte an­dächtig, wenn sie von den Leiden ihres Herrn Christus erzählte und wie sie hoffe durch seine Leiden erlöst zu werden. Emilie weinte sehr als ihr Vater sie eines Morgens zum Bett der Mutter führte, die so still und mit mildem Gesicht darin lag, und ihr mit Thränen erstickter Stimme sagte:»Deine gute Mutter ist nun erlöst und heut früh zum lieben Gott gegangen, sie läßt Dich schön grüßen und Du möchtest auch fromm und gut werden.« Nun begann eine trübe Zeit für das Kind. Der Vater war durch den Ver­lust verstimmt und niedergedrückt, im Hause gefiel es ihm nicht, er war wenig da, und schalt mit dem Kinde und der alten Haushälterin sobald er ihrer ansichtig wurde. Das Kind war ihm überall im Wege und so behandel­te er es auch. Es kam in eine Schule, 19 aber zu Hause lebte es darum doch einsam und verlassen, denn keine sorgsame Mutter gestattete ihrem Kinde mit der mutterlosen kleinen Emilie umzugehn, die zu Hause so schlecht be­aufsichtigt war. Das war sie in der That. Sie mußte oft, wenn der Papa im Club war, mit den Mädchen in Wind und Wetter in die Kaserne zu deren Liebsten laufen und durfte dem Papa nichts klagen, dann hätte sie hungern müssen. Oft wenn es dem Mädchen nicht paßte die Kleine mitzunehmen,