Heft 
(2024) 118
Seite
10
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10 Fontane Blätter 118 Unveröffentlichtes und wenig Bekanntes [4] bis zum Abend und in dem Wirthshaus wo sie zur Nacht bleiben wollten, fing der Jammer von Neuem an, sie rief nach Peter, Mariechen 12 und There­sen 13 und erweckte mit ihrem Kummer die Theilnahme der Wirthsleute, so daß ihr Begleiter in nicht geringe Verlegenheit gerieth, für den Entführer des Kindes zu gelten, da er nicht gewillt war, dessen ganze Geschichte zu erzählen. Er war froh, daß sie bald einschlief und am nächsten Tage ging es schon besser. Emilie war lebhaft und die Reise brachte ihr Abwechselung und Zerstreuung. Nachmittag´s sagte ihr Begleiter:»nun endlich sind wir in Berlin ; ich werde Dich erst zu einem Freund bringen, mit dem wir dann zu Deinem Papa und Deiner Mama fahren wollen.« O dann komme ich wieder zurück! rief jauchzend die Kleine, dann soll Peter das beste Stück aus der Zuckerdüte bekommen, die mir gestern die freundliche Dame schenkte, als ich weinte und in dem großen fremden Bett nicht einschlafen wollte. Theil­nehmend betrachtete der Prediger das kleine Wesen, das nicht wußte und ahnte daß er ihre neuen Eltern gemeint hatte. Endlich waren sie in der Kur­str. in der Wohnung des vorbestimmten Vormunds 14 und Einsenders des lnserat´s angelangt; er war zärtlich zu dem Kinde, doch die großen Zimmer, die Dunkelheit, die fremden Menschen beängstigten das Kind und es ver­langte ängstlich nach Hause. Wir wollen nur gleich zu Herrn Kummer fah­ren, er weiß daß Sie ihm heut die Kleine bringen und erwartet uns. Nach­dem das Kind mit Kuchen und Spielzeug beruhigt worden war, brachten die beiden Herren sie zu ihrem neuen Vater, der [5] sie mit Rührung in seine Arme schloß, mit der Zärtlichkeit des Papa´s in Wernsdorf, die aber doch dem Kinde so ganz anders erschien, denn es war ja nicht der gute Vater! Frau K. 15 war wieder sehr leidend und so mütterlich freundlich sie das fremde Kind empfing, so sah man ihr doch an, daß sie körperlich zu schwach war, um nicht mit Scheu und Angst, an all die Unru­he und Last die ein Kind verursacht zu denken. Die Herren theilten flüchtig über die Reise-Erlebnisse das Nothwendige mit, der Begleiter des Kindes, Prediger aus dem Städtchen 16 in dem die Mutter des Mädchens lebte, bat noch in deren Namen um sorgfältige Behandlung des Pflegling´s, küßte die Kleine, ermahnte sie artig und gehorsam zu sein und auch der letzte Freund ihrer kleinen Welt war verschwunden, sie war in der Fremde! Tage und Wochen vergingen ehe Emilie in der neuen Heimath heimisch wurde und es bedurfte der ganzen Zärtlichkeit und Aufmerksamkeit der neuen Pflegeeltern um sie ihre Vergangenheit vergessen zu machen; aber es kam doch dazu. Bald liebte sie die neuen Eltern und die Gespielen des Hau­ses sahen sie als die ihrige an und rasch verflossen Jahre in kindlicher, un­bewußter Glückseligkeit. Der Vater war gleichmäßig zärtlich, aber die Mut­ter immer schwächer und kränker. Wie oft mag sie über die Wildheit des Kindes geseufzt haben; einst hatte sie Emilien schlafend in der Frühe des Morgens verlassen, um auf den Markt zu gehn. Als sie zurückkehrte, wurde