Heft 
(2024) 118
Seite
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Emilie Fontanes autobiographische Novelle  Möller 13 zimmer eintrat, was auf den Charakter des Mädchens einen schlimmen Einfluß übte; sie war wild und klüger denn ihre Umgebung und wurde na­seweis und maliciös. In dieser Zeit wohnte sie in einem Hause, wozu ein großer Trockenplatz gehörte, der [10] täglich in der Spielzeit der Tummelplatz von 20 bis 30 Kindern war. Der Schrecken dieses Platzes war Emilie, denn allen Kindern, jüngeren oder älteren, Knaben oder Mädchen war sie an Wildheit überlegen. Am liebsten grub sie ein tiefes Loch, worüber sie mit irgend einem anderen Kinde rang, was damit endete, daß sie es triumphirend in das Loch warf. Leider wurde ihr diese Spielart Grund zu einer unvergeßlichen Jugendkränkung. Sie hat­te es endlich dahin gebracht, zu eine ihrer Schulfreundinnen zum Geburts­tag eingeladen zu werden; in der Freude darüber begleitete sie die kleine Elise am Tage vor der Festlichkeit zu Hause, ging mit ihr in den Garten, grub ihr beliebtes Loch, rang mit Elisen, warf sie hinein, und ging seelen­vergnügt zu Hause. Am andern Tage, als Nachmittags die Feier stattfinden sollte und Emilie erwartungsfreudig ihre Elise in der Morgenklasse be­grüßte, sagte diese kleinlaut:»ach, Emilie Du darfst heut nicht mit zu mir kommen; meine Mama hat gestern aus dem Fenster Alles mit angesehn, wie Du so wild warst und da sagt sie Du wärest kein Umgang für gesittete artige Kinder.« Dies war ein harter Schlag für Emilien; sie schämte sich und emp­fand es recht bitter, daß sie keine Mutter hatte die sie von solchen Unarten abhielt. In das Haus, welches ihr Vater bewohnte, war kürzlich einer seiner Bekannten 27 gezogen, mit dem er die Zeitung gemeinschaftlich hielt, und Emilie mußte sie täglich nach der Schule zu ihm tragen. Oft öffnete ihr ein kleines Mädchen die Thür; sie war vielleicht zwei Jahre jünger, gefiel ihr [11] aber ungemein. Sie hatte so hübsches, glattes Haar und sah Emilien stets so freundlich auffordernd an, daß diese sich nach einiger Zeit ein Herz faßte, und fragte, ob sie nicht zusammen spielen wollten. Die Mama der kleinen Rosa 28 erlaubte es und sie gingen zus miteinander zu dem bewußten Spielplatz. Emilie wagte es nicht so wild zu sein, da Rosa sich scheu von den andrängenden Kindern zurück zog und endlich sagte: mir gefällt es hier garnicht, komm lieber zu uns herein. Dies geschah nun öfter; die Eltern wurden auch näher bekannt und die Frau Fontane nahm sich der verwahr­losten Emilie an und gestattete ihr oft mit ihrem Töchterchen zusammen zu sein. Der Hausstand der Frau Fontane bestand außer Rosa und ihrem heiteren liebenswürdigen Manne, in einem Neffen desselben Theodor , 29 dessen El­tern in einer kleinen Stadt 30 lebend, ihn zu dem Onkel nach Berlin in Pensi­on gegeben hatten, damit er das Gymnasium besuchen konnte. Mit ihm war sein Freund Herrmann 31 in dieselbe Pension gekommen, beide waren im funfzehnten oder sechszehnten Jahre, aber grundverschieden. Herrmann, heiter, liebenswürdig war stets bereit mit den kleinen Mädchen zu spaßen