22 Fontane Blätter 118 Unveröffentlichtes und wenig Bekanntes Kommentar Im Herbst 1858, während sie mit ihrem Mann in London lebte, begann Emi lie Fontane diesen Text niederzuschreiben, der in der Familien-Korrespondenz mit den Merckels als»Jugendnovelle«, 1 »Lebensnovelle« 2 oder einfach »Novelle« 3 bezeichnet wurde. Zum Jahresende fand die Arbeit ihren vorläufigen Abschluss, zu der geplanten Fortsetzung ist es nicht gekommen. Die erste Erwähnung dieses Schreibprojekts findet sich im Brief von Henriette von Merckel an Emilie Fontane vom 21. Oktober 1858:»Was Du mir von Deiner Jugendnovelle schreibst, interessiert und rührt mich sehr; wenn es Dir eine Erleichterung ist, so setze sie fort, aber nur dann.« 4 Offenbar hatte Emilie ihre mütterliche Freundin in einem vorangegangenen Brief informiert, der nicht überliefert ist. Das besondere Vertrauensverhältnis zur Berliner Freundin, 5 die räumliche Trennung von ihr und die außergewöhnliche Lebenssituation durch den Umzug nach London gehören zu den Bedingungen der Schreibsituation. Die einfühlsame Reaktion von Henriette von Merckel zeigt, dass diese auch wusste, wie belastend diese Erinnerungen für Emilie waren. 6 Literarisch ambitioniert dürfte der Text kaum sein. Aber für ihre Biographie und für ihr Selbstbild ist er außerordentlich aufschlussreich. Am 10. Dezember 1858 las Emilie ihrem Mann aus dem Manuskript vor, zu seinem»großen Ergötzen«, wie er den Berliner Freunden verriet. Die kleinen»stilistischen Unarten« werde er bewusst nicht korrigieren,»um nicht der Sache den naiven Ton zu nehmen, worin ihr größter Reiz besteht«. 7 Dass Henriette von Merckel die intendierte Adressatin dieser Aufzeichnungen war, bestätigt Fontanes Schreiben vom 11. Dezember 1858, in dem er der Berliner Freundin seiner Frau mitteilte, Emilie arbeite an»ihrer Lebensnovelle für Sie«. 8 Am 2. Januar 1859 schickte Fontane den Text an die Merckels und fügte erklärend hinzu:»Es fehlt an Zeit, meiner Frau ›Novelle‹ noch mal durchzulesen; so läßt sie denn bitten, Sie möchten ein Dutzend Schreib-, Interpunktions- und andre Fehler gütigst entschuldigen.« 9 Über die Reaktion der Merckels ist nichts bekannt. Hier klafft eine weitere Überlieferungslücke in der Korrespondenz. Auch später kommt keiner der Beteiligten auf diesen Text zurück. Er wird nirgends mehr erwähnt. Die einzige überlieferte Handschrift von Emilie Fontanes literarischer Autobiographie wird heute in der Berliner Staatsbibliothek verwahrt. 10 Es handelt sich um eine eigenhändige Niederschrift auf 9 Blättern mit einer Größe von 23,5 x 18,3 cm(4 Bogen, mit einem zusätzlich eingefügten Blatt im 4. Bogen) mit 16 beschriebenen Seiten. Sie endet mit dem Vermerk»Fortsetzung folgt«. Bei dieser Handschrift könnte es sich um das Exemplar handeln, das Emilie 1858 schrieb und das ihr Mann als Beilage seines Briefes vom 1.–2. Januar 1859 aus London an die Merckels in Berlin schickte. Es lassen sich unterschiedliche Schreibphasen, Korrekturen und nachträgliche Zusätze erkennen. Einen Titel hat Emilie Fontane dem Text nicht gegeben.
Heft  
(2024) 118
Seite
22
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