Heft 
(2024) 118
Seite
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42 Fontane Blätter 118 Literaturgeschichtliches, Interpretationen, Kontexte ­Seine berüchtigte Idee von der»großen preußischen Kaserne« schien in greifbare Nähe gerückt. 26 Von großer Bedeutung hierfür waren Krieger­vereine, Turner- und Schützenbünde, die den militärischen Habitus in die Gesellschaft hineintrugen; Landbevölkerung, Arbeiterschaft und Klein­bürgertum waren in großer Zahl in ihnen vertreten. 27 Dem Bürgertum wie­derum wurde mit der Möglichkeit, den Wehrdienst auf ein Jahr zu verkür­zen, in angesehene Regimenter aufzusteigen und Reserveoffizier zu bleiben, attraktive Angebote gemacht Fontane hatte bereits 1844 davon profitiert. 28 4. Veteranen-Literatur Wie sich Fontanes und Raabes Erzähltexte zu diesen diskursiven und sozi­alen Dispositionen ins Verhältnis setzen, soll nun am Beispiel eines be­stimmten Figurentyps gezeigt werden, nämlich des Kriegsveteranen. Die­ser ist ja gerade dadurch gekennzeichnet, dass er an der Schnittstelle von Krieg und Gesellschaft angesiedelt ist. Der Veteran trägt die Erfahrungen, die er im Krieg gemacht hat, die Praktiken und sozialen Codes, die er sich dort angeeignet hat, in die Gesellschaft hinein. Blickt man auf das Perso­naltableau von Fontanes Romanen, spielen dort Veteranen eine prominente Rolle beginnend in Vor dem Sturm beim ehemaligen Dragoner-Major Berndt von Vitzewitz über Céciles Ehemann St. Arnaud, Waldemar Hal­dern in Stine , die Kontrahenten Innstetten und Crampas in Effi Briest , On­kel Eberhard in Die Poggenpuhls bis hin zu den zahlreichen Veteranen im Stechlin. Fontanes Romane kann man aus gutem Grund als»Veteranen-Li­teratur« bezeichnen. 29 Das ist umso bemerkenswerter, als man in der Öffentlichkeit des Kaiser­reichs die soziale Stellung der Veteranen erst seit den frühen 1890er-Jahren intensiv diskutierte. Zu dieser Zeit kamen Bismarcks Sozialreformen in die Kritik: Sie würden Veteranen zu wenig berücksichtigen. 30 Zwar hatte man nach 1871 einen»Reichsinvalidenfonds« eingerichtet, der aber nur den Ve­teranen des deutsch -französischen Krieges, nicht der anderen ›Einigungs­kriege‹ zugutekam. Die Forderungen der Veteranen wurden dank des 1894 gegründeten Leipziger Verbands deutscher Kriegsveteranen lauter. Zum 25. Jubiläum des deutsch -französischen Krieges kam es 1895 zu einer Aus­weitung von Sozialleistungen auf ehemalige Kombattanten der Kriege von 1864 und 1866. Die Massenmobilisierung von Männern im Zuge der ›Einigungskriege‹ war aber bereits in den 1870ern zum Problem geworden, da sie zu zahlrei­chen Kriegsversehrungen mit Langzeitfolgen führte. Erwerbslosigkeit und Armut waren bei Veteranen in den letzten Jahrzehnten des 19. Jahrhun­derts keine Seltenheit. Bedenkt man, dass hunderttausende ehemalige Kombattanten im Kaiserreich lebten, 31 war die Veteranenfrage schon rein