Heft 
(2024) 118
Seite
78
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78 Fontane Blätter 118 Literaturgeschichtliches, Interpretationen, Kontexte ­Lücken und Widersprüchen« 13 bestehe, sodass Interpretationen mit ergän­zenden Vermutungen arbeiten müssten, die vom Text nicht gedeckt seien. Der Chinese bleibe somit ein»nicht eindeutig auflösbare(s) Motiv«, 14 das sich aber dadurch umgekehrt vielfältigen Verweis-, Assoziations- und da­mit Deutungsmöglichkeiten öffne 15 , was die ausgedehnte und weitver­zweigte Interpretationsliteratur zum Chinesen bestätigt. Für das Verhält­nis zwischen dem Chinesen und Innstetten, das im vorliegenden Beitrag im Mittelpunkt steht, kann daher die Deutungsgeschichte nur exemplarisch berücksichtigt und zusammengefasst werden. 1. Der Chinese als Komplize Innstettens Für einen großen Teil der Forschungsliteratur fällt auf, dass der Chinese weit überwiegend in seiner Bedeutung für Effi untersucht wurde. 16 Dabei wird er als Symbol, Projektion oder veräußerte Figuration ihrer Wünsche, Ängste und, allgemeiner, ihrer(unbewussten) seelischen Vorgänge und Zu­stände analysiert. Seltsamerweise ermangelt es diesen Arbeiten an ähnlich differenzierten Deutungsverfahren für die Figur Innstetten. Die Interpreta­tionen bewegen sich weitgehend im Deutungskorridor Crampas` 17 , wonach Innstetten den Chinesen sowohl als karriereförderliches Distinktions- und Prestigeobjekt als auch als erzieherischen Angst- und Manipulationsapparat für Effi benutzt. So verstehen Gisela Warnke 18 und Ulrike Rainer 19 den Chinesen als»Er­füllung romantischer Sehnsüchte« 20 Effis und zugleich als bedrohliches »Gleichnis« 21 ihrer Affäre. Er sei»ein Spiegelbild des Charakters und der psychischen Entwicklung Effis« 22 , die in Verbindung mit ihrer emotionalen und erotischen Verödung in der Ehe mit Innstetten zur Affäre mit Crampas führten. 23 Bei der Funktionsbestimmung des Chinesen für Innstetten ver­bleiben beide vollständig bei den oben genannten Interpretationsangebo­ten Crampas. 24 Dem schließen sich Peter Utz 25 und Li Yuan 26 an, die den Chinesen als verbreitetes Angstklischee des zeitgenössischen Imperialis­musdiskurses einordnen, 27 das von Innstetten innerehelich zur Diszipli­nierung Effis benutzt werde, so wie es gesellschaftlich disziplinierende Funktion für die Akzeptanz der Imperialismuspolitik entfalte. 28 Zusam­menfassend hält Yuan fest:»Innstetten instrumentalisiert den Chinesen­spuk zu einem Angstapparat, der ihm behilflich ist, Effi durch Angst zu kontrollieren«. 29 Eine Einschätzung, die Karla Bindokat 30 in ihrer umfas­senden stoff- und motivgeschichtlichen Untersuchung teilt. Innstetten sei der Manipulator, der, im Verein mit Johanna, den Spuk als»Angstapparat aus Kalkül« 31 einsetze und ein»zweideutiges und gefährliches Spiel mit Ef­fis Emotionen« 32 betreibe, sodass Innstetten ein»Mangel an Menschlich­keit« 33 attestiert wird. Den sieht auch Christoph Wegmann 34 am Werk. Der